Die Seydaer Heide.

 

 

(Einband: Foto von Bernd Reimann, Seyda)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wenn ich, o Schöpfer, deine Macht, die Weisheit deiner Wege,

die Liebe, die für alle wacht, anbetend überlege: so weiß ich,

von Bewundrung voll, nicht, wie ich dich erheben soll,

mein Gott, mein Herr und Vater.

 

Mein Auge sieht, wohin es blickt, die Wunder deiner Werke;

der Himmel, prächtig ausgeschmückt,

preist dich, du Gott der Stärke. Wer hat die Sonn an ihm erhöht? Wer kleidet sie mit Majestät? Wer ruft dem Heer der Sterne?

 

Wer misst dem Winde seinen Lauf? Wer heißt die Himmel regnen?

Wer schließt den Schoß der Erde auf, mit Vorrat uns zu segnen?

O Gott der Macht und Herrlichkeit, Gott, deine Güte reicht so weit,

so weit die Wolken reichen.

 

Dich predigt Sonnenschein und Sturm, dich preist der Sand am Meere. Bringt, ruft auch der geringste Wurm, bringt meinem Schöpfer Ehre! Mich, ruft der Baum in seiner Pracht, mich, ruft die Saat, hat Gott gemacht; bringt unserm Schöpfer Ehre!

 

Der Mensch, ein Leib, den deine Hand so wunderbar bereitet,

der Mensch, ein Geist, den sein Verstand dich zu erkennen leitet:

der Mensch, der Schöpfung Ruhm und Preis, ist sich ein täglicher Beweis von deiner Güt und Größe.

 

Erheb ihn ewig, o mein Geist, erhebe seinen Namen; Gott unser Vater sei gepreist, und alle Welt sag Amen, und alle Welt fürcht ihren Herrn und hoff auf ihn und dien ihm gern. Wer wollte Gott nicht dienen?

 

Christian Fürchtegott Gellert 1757, Evangelisches Gesangbuch Nr. 506

 

 

 

Inhaltsverzeichnis

 

1. Die Entstehung der Landschaft                            Seite 5

 

2. Von Nonnen, Räubern und versunkenen Dörfern            Seite 9

 

3. Von August dem Starken und den großen Jagden            Seite 20

 

4. Brennholz und Bauholz, Glas- und Pechhütte             Seite 38

 

5. Das Verschwinden der Eichen                                                 Seite 46

 

6. Die Waldweide                                                               Seite 51

 

7. Der Raubmord                                                                Seite 56

 

8. Sachsen, Franzosen, Preußen                                             Seite 60

 

9. Die romantische Förstersfrau                                     Seite 70

 

10. Das große Liebeswerk                                                   Seite 75

 

11. Die Waldbahn                                                                 Seite 87

 

12. Leben mit der Heide: Maien, Holz und Heidelbeeren Seite 90

 

13. Wilddieberei und Förstermörder                                Seite 95

 

14. Von Bomben und Flugzeugen                          Seite 101

 

15. Russen in der Heide                                                      Seite 109

 

16. Eine blieb stehen                                                            Seite 118

 

17. Der große Schatz                                                Seite 122

 

Eine Karte befindet sich in der Mitte, auf den Seiten 66 und 67.

 

In der Freude und dem Staunen über den großen Schatz, den wir in unserer Gegend mit der Heide haben, sind diese Seiten zusammengetragen worden. Was verbergen sich doch dort für Naturreichtümer, was für spannende Geschichten sind mit der Heide verbunden! Es ist unsere Heimat, die uns zu allen Jahreszeiten einlädt, über die Wunder der Schöpfung zu staunen. Nicht nur die gute Luft und die Ruhe, auch die Betrachtung der Naturschönheiten, der Langsamkeit des Wachsens, des Werdens und Vergehens haben heilsame Wirkung.

Schließlich zeigt sich in der Geschichte unserer Heide, im Heilen auch von tiefen Wunden, die ihr von Menschenhand zugefügt wurden, Gottes Treue.

 

Herzlichen Dank allen, die mir über die Heide berichtet und erzählt haben: Herrn Steffen Elstermann aus Schweinitz für die Einsicht in seine Diplomarbeit über die Forstgeschichte der Glücksburger Heide und seine gute Beratung; Herrn Bürgermeister Motl für die Hinweise auf manche Naturschönheit; Frau Stadtchronistin Bärbel Schiepel für historische Beiträge; Herrn Karl-Heinz Niendorf aus Oehna/Jüterbog für seine Beobachtungen; Herrn Ralf Giermann vom Schloss Moritzburg und den freundlichen Bibliothekarinnen im Sächsischen Haupt-Staatsarchiv und in der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek Dresden; Frauen und Männern aus den Gemeindenachmittagen in Seyda, Gadegast, Naundorf, Ruhlsdorf und Morxdorf; Herrn Förster Hilse, der mir mit Adressen und Hinweisen weiterhalf; Herrn Walter Hesse aus Gentha, der mit einer alten Karte der Heide und einer Fahrt in das Brachholz mein Interesse an der Heide neu weckte.

Vielen Dank auch dem Pfarramt in Schönewalde und dem EEA-Heimatverlag Jessen für die Unterstützung beim Druck und Herrn Bernd Reimann aus Seyda für das Foto auf der Umschlagseite.

 

Meine Hochachtung möchte ich an dieser Stelle ausdrücken für alle, die sich um die Bewahrung und den Schutz der Heide bemüht haben und weiter bemühen; an erster Stelle steht da der Heimatverein Glücksburger Heide e.V.  mit seinem Vorsitzenden, Herrn Heinz Berger. Wenn ich hier als Überschrift „Seydaer Heide“ gewählt habe, dann deshalb, weil mir bewusst ist, dass ich dieses weite Feld niemals erschöpfend beschreiben kann, und natürlich aus der Perspektive Seydas schreibe, weil mir von hier die meisten Quellen und Berichte vorliegen.        

 

Thomas Meinhof, 27. November 2006

 

1. Die Entstehung der Landschaft

Es ist ein recht karger Boden, auf dem die Heide steht: Die beherrschende Bodenart ist der Sand, an einigen Punkten gibt es Lehmböden und Ton.

Diese und viele andere fachliche Informationen verdanke ich der Einsicht in: Elstermann, Steffen: Zur Forstgeschichte der Glücksburger Heide seit dem 16. Jahrhundert mit dem Schwerpunkt auf der Bestockungsentwicklung unter dem Einfluss des Menschen (Diplomarbeit an der FHS für Forstwirtschaft in Schwarzburg i.G.). Schwarzburg 1992, 5f. Lehm kommt vor in den Jagden 142, 145, 150, 160 und 161, meist in ein bis zwei Metern Tiefe als schwach lehmige, auch tonige Bänder und Schichten.

Die Landschaft wurde im Pleistozän in mehreren Eiszeiten geprägt, in den warmen Zwischenzeiten gab es dann schon Höhlenbär und Mammut, Wisent und Rentier, Schneehase, Eisfuchs und Hirsch.

 

Die eigentliche Heidelandschaft ist ein Resultat menschlicher Nutzung. Voraussetzung ist eine Rodung des Urwaldes, danach erfolgte auch bei uns die Nutzung durch Hutung, vor allem Schafe weideten auf den Flächen. Daran erinnert zum Beispiel die „Alte Schäferei“, sie befand sich zwischen der alten Stadt Seyda und dem Beginn der Heide; auf der Mark Zwuschener Flur stand über Jahrhunderte nur ein Haus für einen Schäfer.

Die neuen Heideflächen sind im letzten Jahrhundert durch Brandrodung entstanden: durch die militärische Nutzung kam es vielfach zu mächtigen Feuern und zur Vernichtung von großen Waldbeständen. Wollte man die Heide mit ihren Heidekrautflächen erhalten, müssten regelmäßig die nachwachsenden Bäume herausgeschnitten werden. Dies geschieht zum Teil, besonders dort, wo das Heidekraut heute wirtschaftlich genutzt wird.

Die Lüneburger Heide ist beispielsweise auch künstlich entstanden, weil plötzlich viel Bauholz für den Schiffbau in den Hansestädten gebraucht wurde.

 

Der größte Teil der alten landesherrlichen Seydaer Heide aber war immer mit Wald bedeckt. Die ältesten forstwirtschaftlichen Aufzeichnungen stammen aus dem 16. Jahrhundert. Darin kann man lesen, dass die „Hohe Seydaer Heide“ mit „Kiefern und Eichen zu Bau- und Brennholz ziemlich gut bestockt“ war, die „Nonnenheide“ „mit reinem Kiefernholz..., an einem Ort auch mit etlicher Eiche“, und das „Brachholz“ (Seydaer und Genthaer Bruch) „mit Erlen, Masteichen und anderen Eichen“. (Reinhold, Fritz: Die Bestockung der kursächsischen Wälder im 16. Jahrhundert: Eine kritische Quellenzusammenfassung. Dresden ca. 1942, 116. In: Elstermann aaO 6f.).

 

Es ist wohl ein relativ naturnaher Mischwald gewesen, dominiert von Kiefern und Eichen auf den trockeneren Flächen und Erlen, Eichen und Birken in den Niederungen. Er wurde schon kräftig genutzt, auch die Felder natürlich rings um die Heide. Das änderte sich im 17. Jahrhundert: Der Dreißigjährige Krieg hinterließ in unserem Gebiet tiefe Spuren, viele Orte verschwanden, und einige waren nur noch sehr schwach besiedelt. Der Wald konnte sogar auf die verödeten Äcker und Wiesen vordringen. „So musste man um 1654 den Seydaer Oberförster Paul Hoffmann und dessen Forstknecht Anthon Vogel bei der Neubestimmung der Genthaer Dorfflur zu Rate ziehen.“ - „Damals wurde die Grenze des Forstes durch Steine, Grenzhügel, Gräben, Pfähle und Bäume kenntlich gemacht.“ (Elstermann aaO 8, nach Brachwitz, Oskar: Geschichtliche Bilder vom Südfläming und aus der Elbe-Elster-Gegend. Jessen 1928.).

Ein geübter Blick erkennt noch heute die alte Grenze des königlichen Forstes: ein kleiner Graben, und an jeder Abbiegung ein kleiner Hügel, so groß wie ein Ameisenhaufen.

So umfasste die alte landesherrliche Seydaer Heide ein Gebiet von 2200 Hektar, sie lag zwischen Seyda und Mügeln, wobei die nördliche Grenze etwa zwischen Mark Zwuschen und Blumberg und die südliche zwischen Gentha und Mügeln verlief. Die angrenzenden Waldflächen nach Norden und Süden sind meist erst zum Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts aufgeforstet worden.

Den Begriff „Glücksburger Heide“ habe ich zuerst 1932 bei Brachwitz gefunden, davor ist immer von der Seydaer (und der Lindaer) Heide die Rede; freilich wechselte die Oberförsterei schon Mitte des 19. Jahrhunderts ihren Sitz von Seyda nach Glücksburg.

„Für den Übungsplatz“ (der Sowjetarmee) „setzte sich der Name Glücksburger Heide durch.“ (Elstermann aaO 38.).

„Das zusammenhängende Waldgebiet, beginnend an den Arnsdorfer Bergen bis hin zur Landesgrenze Brandenburg in nördlicher Richtung, hat ganz einfach das Recht, „Glücksburger Heide“ genannt zu werden.“ (Berger, Heinz: Chronik der Glücksburger Heide. In: Papieren über die Glücksburg, gesammelt im Museum Schloss Moritzburg.).

Die Alten sprechen noch heute von der „Seyd´schen Hede“; für die mittlere Generation war es in den siebziger und achtziger Jahren einfach „das Sperrgebiet“.

 

Der Naturraum der Heide wird in einem Standardwerk, dem „Meynen“, beschrieben. Ein Mann diesen Namens war Mitherausgeber eines „Handbuches der naturräumlichen Gliederung Deutschlands“, 1953 bis 1962 (2 Bände, 1339 Seiten).

„Das Südliche Fläminghügelland, zu dem die Heide gehört, stellt nach Meynen ein sandig-kiesiges Flachhügelland mit einzelnen mittelsteilen kiesigen Hügeln dar. Im südöstlichen Teil ist es ein Endmoränengebiet mit vorgelagerten Sanderflächen. Im westlichen Teil sind Sanderflächen, die teilweise allmählich in von Muldentälern zerschnittene Talsandflächen übergehen, ausgebildet. Das Relief des Untersuchungsgebietes in der Glücksburger Heide ist weitgehend eben (Höhenlage ca. 80-90m über NN). In den Niederungen des Naturraumes befinden sich z.T. Flachmoorböden. Auf den Sanden entwickelten sich schwach bis mäßig gebleichte, rostfarbene Waldböden.

Der Fläming gehört nach Meynen der Übergangszone zwischen der westlichen, mehr atlantisch geprägten und der östlichen, mehr kontinental beeinflussten Klimazone Deutschlands an. Charakterisiert wird dies durch warme Sommer und mäßig kalte Winter. Das Jahresmittel der Lufttemperatur im Südlichen Fläminghügelland wird von Meynen mit 8,5 Grad Celsius angegeben. Die mittlere Jahressumme des Niederschlags beträgt danach im Westteil des Südlichen Fläminghügellandes 515-550 mm, im Ostteil 550-675 mm. Im Gebiet versickern Niederschläge zumeist schnell in den Sandschichten. Stellenweise ist Staunässe zu beobachten. Die Entwässerung des Südlichen Fläminghügellandes erfolgt in Richtung Elbe und Schwarze Elster (Glücksburger Heide: Morgengraben-Wiesenbach, Zuflüsse des Schweinitzer Fließes).

Die Wasserscheide zwischen den Einzugsgebieten von Elbe und Elster nach Süden und der Havel nach Norden verläuft von Welsickendorf, Zellendorf, Blumberg herkommend etwas südlich zur Gemarkungsgrenze Oehna quasi unmittelbar gleichlaufend mit dieser, dann vorbei an Mark Zwuschen und nördlich der „Gölsdorfer Beeke“ weiter nach Mellnitz/Seehausen. (Niendorf, November 2006.).

 

Natürliche Vegetation im Fläming sind vorwiegend Traubeneichenwälder (Meynen). Neben diesen traten der Kiefernmischwald auf Sandstandorten, der Traubeneichen-Lindenwald auf lehmbeeinflussten Standorten bei subkontinentalem Klimaeinschlag und der Buchen-Traubeneichenwald auf lehmbeeinflussten und besseren Sandstandorten bei höheren Niederschlägen auf. Der heutige Waldbestand des Fläming ist hauptsächlich durch Kiefernforsten charakterisiert. Im Untersuchungsraum in der Glücksburger Heide ist die militärische Nutzung in diesem Jahrhundert (bis 1990) für die Waldfreiheit großer Flächen verantwortlich.

(Wallaschek, Michael: Beitrag zur Heuschreckenfauna (Salatoria) der Glücksburger Heide im Südlichen Fläminghügelland. In: Entomologische Mitteilungen Sachsen-Anhalt, Band 5, Heft 1, 1997, hrsg. von der Entomologen-Vereinigung Sachsen-Anhalt e.V., 3f.). Der letzte „Urwald“ findet sich im Erlenbruch in den Marcolinischen Wiesen.

 

2. Von Nonnen, Räubern und versunkenen Dörfern

Ein großer Teil der mittleren und südlichen Heide wird als „Nonnenheide“ bezeichnet; bei Gentha gibt es Flurstücke, die „Kleine und Große Nonnenwiese“ heißen. Auf einer alten Karte von 1862 gar gibt es eine handschriftliche Eintragung an dieser Stelle, dass dort noch die Grundmauern eines alten Klosters zu sehen wären.

Sie ist zu finden im Museum für Ur- und Frühgeschichte Halle, B V  67/1/123, 1: 25000,  2318/217 Messtischblatt Seyda  Bd. IX, Blatt 4. Auf dieser Karte ist handschriftlich vermerkt: „Königl. Forst Seyda. Im Jagen No. 70 hat nach dem Abschätz- u. Vermessungsstab der Kgl. Reg. (Akt.. für Forst... de 1862 ein Nonnenkloster gelegen, wovon die Grundmauern noch jetzt vorhanden sind? Es würde dies mit dem von mir nordöst. (unleserlicher Einschub) angedeuteten Wüstung (Einschub F u G Splittgarten) in den Marcolinischen Wiesen zusammenfallen. Die angrenzenden Ländereien sind hiernach Nonnenstück benannt.“ Auf der Karte findet man: Nonnenwiese, Nördlich: kleine Nonnenwiese, Südlich: große Nonnenwiese, Östlich (weitflächig): Nonnenheide.

Kurt Klausnitzer, anerkannter Bodendenkmalpfleger seit den 50iger Jahren in Jessen, hat dort 2003 Scherben gefunden: Tonscherben, weiß-grau, nach seiner Schätzung aus dem späten Mittelalter, 15./16. Jh.; dazu ein Trockenfundament, 4 alte Buchen im Rechteck gepflanzt. Die von ihm gefundenen Mauerreste sind aber Lausitzer Granit (schwarz-weiß), also aus der Ferne herangefahren, deshalb bestimmt erst neuzeitlich (wegen der weiten Entfernung), er vermutet Baracken aus dem 2. Weltkrieg für einen Militärflugplatz.

Tatsächlich sind mit diesem Ort die ältesten schriftlichen Zeugnisse der Geschichte der Heide verbunden. „Die Schenken von Seyda“ traten im 15. Jahrhundert „einen Theil ihrer Haide, das sogenannte Brachholz unweit Genta, erst wiederkäuflich, dann erblich“ ab, „worauf das Kloster dort theils Holz schlug, theils Wiesen auf Erbzins ausgab“. (Heffter, Carl Christian: Urkundliche Chronik der alten Kreisstadt Jüterbock und ihrer Umgebungen, Jüterbock 1851, 131.).

Bei dem Kloster handelt es sich um das Zisterzienserinnenkloster in Jüterbog. Es wurde um das Jahr 1280 gegründet. Im Jahre 1435 wurden „Dorfstätte und Feldmark Brachholz bei Seyda“ auf „Wiederkauf“ erworben, 1448 erfolgte die definitive Übereignung, 1457 die kurfürstliche Bestätigung, 1558 die Grenzziehung.

Da sage noch einer, dass es mit den Ämtern heute lange dauert... (Quelle: Germania Sacra, hrsg. vom Kaiser-Wilhelm-Institut für Deutsche Geschichte, Erste Abteilung, Dritter Band, Zweiter Teil: Das Bistum Brandenburg, von Fritz Bünger und Gottfried Wentz; 8. Das Zisterziensernonnenkloster in Jüterbog, 346.).

Die Nonnenheide wurde erst 1520 erworben; es sind dann Holzverkäufe bis 1543 registriert, eine Grenzregulierung „gegenüber der Seydaschen Heide“ erfolgte 1521/22; Streit über die Holzlieferung an das Kloster gab es 1553, 1560,1562, 1569, 1573... (Germania Sacra, aaO, 347.). Die Einkünfte aus dem Brachholz betrugen 1546 5 Taler und 8 Groschen.

Zum Vergleich: Gesamteinnahme des Klosters: 172 Taler (Germania Sacra, aaO, 348.).

In wieweit es noch andere Verbindungen zwischen Seyda und diesem Nonnenkloster gibt, konnte noch nicht geklärt werden. Jedenfalls waren Äbtissinnen (das sind die Vorsteherinnen im Kloster) aus der Familie derer von Quitzow, die auch einmal auf der Burg Sydow zu Hause waren. Die erste Klosterkirche war eine „Zum Heiligen Kreuz“, so, wie auch die erste Seydaer (und Klödener) Kirche benannt war.

 

Die Tracht der Jüterboger Nonnen entsprach der Ordenstracht: ein weißes Gewand mit einem schwarzen Überwurf. Auf dem Kopf trugen sie einen weißen Schleier und darüber einen schwarzen Flor mit vier roten Kreuzen, die auf ihre Herkunft von den Magdeburger Nonnenklöstern hinweisen.“

(Bilang, Karla: Die Frauenklöster der Zisterzienser im Land Brandenburg, Berlin 1998,  159. Leider ist es trotz mancher Bemühungen nicht gelungen, ein Bildnis einer Zisterziensernonne aus dem Magdeburger Bereich zu erhalten. In Jüterbog ist durch Um- und Neubauten nicht eine alte Grabplatte mit solchem Bild erhalten; eine Anfrage in Magdeburg brachte bisher kein Ergebnis.).

Was liegt näher, als dass der „Rote Kreuz Weg“, seinen Namen von diesen Nonnen hat! Er führt mitten durch die Heide und schafft eine Verbindung zwischen dem Kloster und den Dörfern, die es besaß, mit den genutzten Flächen in der Heide.

(Der erste, der das so aufgeschrieben hat, war Karl-Heinz Niendorf 2006.).

Auf einer ganz alten Karte (um 1600) ist allerdings auch ein rotes Kreuz an einer Weggabelung eingetragen. Wegekreuze gab es in dieser Zeit öfter: Auch mit dem „Sitz im Leben“, davor um die rechte Wegweisung zu beten.

Jedenfalls hat der „Rote Kreuz Weg“ nichts mit der Genfer Konvention von 1863 zu tun, bei dem das Rote Kreuz die Bedeutung erhielt, die uns heute geläufig ist. Die alten Mauerreste, die tatsächlich vorhanden sind, weisen auf Unterstände oder kleinere Bauten hin, die vielleicht das Kloster, vielleicht auch die Bewohner des nahegelegenen Dorfes Marcolin genutzt haben. „Wegen der Entfernung Jüterbog – Brachholz, ca. 25 km, wird es kaum möglich gewesen sein, sowohl für die visitierenden Nonnen als auch für die Holzfuhrleute, den Hin- und Rückweg an einem Tag zu bewältigen. Es liegt deshalb nahe, dass dort vor Ort eine Übernachtungsmöglichkeit bzw. Ausspannung entstanden ist, die auch der Unterbringung der Holzfäller gedient haben könnte. Eine weiter nicht unwichtige Textpassage bei Heffter, S. 133, weist auf den Holztransport vom „Brachholz“ zum Jüterboger Kloster hin: „Das nöthige Feuerholz wurde theils im Kappan und an den Gräben geschlagen, theils zugekauft, späterhin jedoch aus dem zuerworbenen Brachholze erholt, wozu die Nonnendörfer (Lindow, Dalichow, Kaltenborn, Höfgen) Fronfuhren übernehmen mussten, obwohl sie sonst nur Handdienste in den Gärten geleistet hatten.“ (Niendorf, Brief vom 7.8.06.).

Vermutlich ist der Weg dann erst nach 1520 so benannt worden, denn erst da wurde die Nonnenheide dazugekauft: jetzt „lohnte“ es sich richtig; auch die Wegführung erscheint so sinnvoller.

Ein Kloster hat immer einen ganz bestimmten Grundriss: der findet sich dort nicht; auch sind Klöster immer miteinander verbunden, denn sie entstehen, wenn ein bestehendes Kloster sich teilt und eine „Tochter“ hervorbringt. Für eine Klostergründung in unserem Gebiet kommen nur die Zisterzienser in Frage, denn nur sie haben sich abseits von größeren Siedlungen und Wegen niedergelassen und das Land urbar gemacht. In den Zisterzienserklöstern in der Nähe (Männer in Kloster Zinna, Frauen in Jüterbog) gibt es dafür jedoch keinerlei Hinweise, aber jene Nachrichten über die Nutzung von Brachholz und Nonnenheide.

 

Über die alten Straßen und Wege hat der Heimatforscher Otto Brachwitz 1932 geschrieben:

„Die größte Straße, die die Glücksburger Heide von Westen nach Osten durchquert, ist die Dahmsche Straße. Sie bildete früher einen Teil der alten Handelsstraße Leipzig-Wittenberg-Frankfurt an der Oder. Bei Seyda heißt sie die Dahmsche Straße und in den Dörfern um Dahme die Seydsche Straße.

Während des Mittelalters war der Weg durch die Heide gefürchtet, denn hier fanden die Straßenräuber gute Verstecke, konnten auch leicht über  die nahe märkische Grenze entweichen. Dafür zwei Beispiele. Im Jahre 1480 überfielen vier solche Gesellen den Leipziger Fuhrmann Zarmer in der "Sydowschen Heide", erschlugen ihn, nahmen seine Habe und Ware und fuhren damit nach Wittenberg. Dort verkauften sie einen Teil der Hechte, die Zarmer geladen hatte, dann fuhren sie weiter nach Zerbst und hielten ebenfalls in dieser Stadt mit dem Raube feil. Doch hier wurden sie von ihrem Schicksal ereilt. Sie hatten noch den Jungen des Fuhrmannes bei sich, der meldete den Überfall, so dass zwei ins Gefängnis gebracht wurden, nämlich Hans Decker und Caspar Tynemann. Dem Rat zu Leipzig wurde die Sache gemeldet, er schickte zwei Geschworene nach Zerbst, vor denen die Übeltäter ihre Missetat bekannten. Von den Geschworenen der Räte zu Leipzig und Zerbst wurden sie zum Tode verurteilt. Man hat sie "mit Teer gestraft, aus der Stadt geschleift und mit dem Rad gestoßen, so ihr Verdienst geheischet  hat". - Mehrere Jahre später, nämlich 1505, wurde ein anderer Straßenräuber in Zerbst gehängt, mit Namen Hans Korßemann. Er hatte so mancherlei auf dem Kerbholz. Auch er hatte in der "Sydowschen Heide" auf der Lauer gelegen, aber da sich zufällig keine Gelegenheit zum Straßenraub bot, stahl er dortselbst einem Mann, anscheinend einem Holzhauer, eine Joppe, einen Rock, einen Durchschlag und ein Beil. - So manche Übeltat aber blieb ungesühnt, die Unsicherheit auf den Straßen war gerade am Ausgang des Mittelalters besonders groß.

Doch hatte Seyda von der Lage an der Handesstrasse auch Vorteile. Aus dem alten Amtbuch von 1506 wissen wir, dass alle Fuhrleute, die Krebse brachten, dieselben im Städtlein feil halten mussten, "alter Gewohnheit nach". Und andere, die Knoblauch geladen hatten, mussten eine Reihe Knoblauch im Amt abliefern, ebenfalls alter Gewohnheit nach. Hechte, Krebse, Knoblauch  - heute kaum denkbar, dass man damals solche Handelsartikel von weit her holte.

Eine andere alte Heer- und Handelsstraße durchzog die Seydaer Heide von Norden nach Süden und verband Jüterbog mit Jessen. Das erste Dorf am Rande der Heide war Oehna. Der Verkehr war hier sehr lebhaft, sodass dem Richter und Krüger Simon Dalicho 1586 gestattet wird, für die 3 Bier, die er jährlich auf seiner Schenke zu brauen befugt ist, 6 Bier, also die doppelte Menge zu brauen. Wegen der Landstraße reichen die 3 Bier eben nicht aus. Schon zu jener Zeit muß übrigens der "Rote-Kreuz-Weg" vorhanden gewesen sein, denn in dem alten Amtbuch wird das rote Kreuz erwähnt.

Noch eine alte Handelsstraße berührte das große Waldgebiet und zwar im Südwesten, sie führte von den früher sächsischen Städten Belzig und Niemegk nach Schweinitz, heute als Schweinitzer Straße bekannt. Eine Strecke unweit der Marcolini-Wiesen überquert sie etwa 500 Meter ein Sumpfgebiet. Während des 30jährigen Krieges war die Straße hier unpassierbar geworden. Aus sämtlichen 12 Amtsdörfern und aus der Stadt Seyda mussten die Untertanen 1653 erscheinen und die Stelle, damals Märkischer, heute Schweinitzer Damm genannt, in Stand setzen. Das Holz dazu lieferte das Amt. Aber das Holz musste gehauen, eingelegt und mit Schutt befahren werden. Und dazu gehörten viel Arbeitskräfte. Im Oktober desselben Jahres wurde der Damm endlich ausgebessert.

Noch andere alte Wege ziehen kreuz und quer durch die Heide, sie tragen oft merkwürdige Namen, wie Schallweg, der Bankweg, der Zipplersche Damm, die "Seite". Nach Mügeln zu gab es vor Zeiten auch noch einen Wolfsweg, wieder andere Namen sind im Laufe der Zeit in Vergessenheit geraten.

Geblieben ist allen Wegen die Einsamkeit und die Ruhe und der Frieden des Waldes."

(Otto Brachwitz, Heimatkalender für den Kreis Schweinitz 1932, 42.).

Wölfe galten wie Bären als Raubtiere, per Jagdedikt zur Ausrottung vorgesehen. Sie waren eine Gefahr für das Weidevieh und sicher auch für die Hirten. Vielleicht spielte auch der „Jagdneid“ eine Rolle: schließlich war auch der Wolf auf der Pirsch unterwegs nach Hirsch und Reh. In ganz Sachsen erlegte man zwischen 1611 und 1717 6937 Wölfe. Wie selten das war (auf die lange Zeit und die große Fläche), belegen die „Wolfsdenkmale“: einen Wolf zu erlegen, wurde etwas ganz Besonderes und gab den Anlass, einen Weg oder einen Ort zu benennen: Wolfsweg bei Mügeln, Wolfswinkel bei Zemnick. Ein Mandat von 1717 „Was vor Wildpret eigentlich zur Hohen-, Mittel und Nieder-Jagd gerechnet wird, und wer Wölffe zu fällen befugt sein soll“ untersagte sogar bei Strafe von sechzig Talern die unbefugte Tötung eines Wolfes. (Hensel, Margitta: Die gebräuchlichsten Jagdmethoden des 16. bis 18. Jahrhunderts. In: Vom Jagen, Begleitband zur Ausstellung auf Schloss Moritzburg 1992, 40. Sie verweist auf: Wolfsdenkmäler in Sachsen, in: Mitteilungen des Landesvereins für Sächsischen Heimatschutz, 1920.).

 

An alte Siedlungsstätten in bzw. am Rande der Heide erinnern einige Flurbezeichnungen: Blumberg, Jänickendorf,  Marcolin.

Der Heimatforscher Otto Brachwitz aus Seyda war vor dem Krieg selbst in der Heide unterwegs, suchte Scherben und Spuren der Orte und stöberte in den alten Amtsbüchern. Er schreibt:

 „Ueber die Wüstung Blumberg sind so gut wie gar keine Urkunden vorhanden, so dass die älteste Geschichte des Dorfes in vollständiges Dunkel gehüllt ist. Einen Hinweis auf die Zeit der Entstehung gibt uns lediglich der Ortsname. Darüber sagt ein bedeutender Forscher (Curschmann, Die deutschen Ortsnamen im nordostdeutschen Kolonialgebiet, Seite 138): „Blumberg gibt es bei Berlin, in der Neumark, in Vorpommern und zweimal in Ostpreußen. Diese Namen sind bezeichnend für die zweite Hälfte des Mittelalters und damit auch für die Ortsgründungen. In älterer Zeit war der Sinn und die Freude an der Natur bei den Deutschen noch nicht genug erwacht, um in derartigen Namen Ausdruck zu suchen.“ Während die meisten Dörfer unserer Heimat zwischen 1160 und 1200 entstanden, muss nach dieser Ansicht Blumberg nach 1200 oder vielleicht später gegründet worden sein. Auch Scherbenfunde konnten bisher noch keine Auskunft geben, denn bei einer Besichtigung der Dorfstelle durch mich Ostern 1932 waren fast keine Scherben aufzufinden, da die ehemalige Dorfstätte heute mit Wald bedeckt ist und die Untersuchung sehr erschwert. Hinzu kommt, dass dort zahlreiche Gruben vorhanden sind, man hat dort bis vor nicht allzu langer Zeit Ton gegraben. So sollen auch die Seydaer Töpfer hier früher ihren Ton geholt haben. Die Dorfstelle liegt hart an der heutigen Waldgrenze, ein Zeichen, dass der Wald, der hier weiter gerodet war, wieder vorgedrungen ist. – Die Dorfflur von Blumberg umfasste 11 Hufen, war also verhältnismäßig klein. Auch das kann als Beweis für eine späte Gründung angesehen werden, denn die ersten Kolonisten erhielten größeren Besitz. Um 1500 war das Dorf wüst, damals war die Wüstung vom Amt Seyda den Einwohnern des Dorfes Mügeln als sogenanntes Lockgut gegeben. Das war eine Zeitpacht, die jede der beiden Parteien jederzeit kündigen konnte. Als Pacht wurden jährlich 76 Scheffel Hafer verlangt, die am Martinitag (10. Nov.) (11.! – T. M.) abgeliefert werden mussten. Hafer scheint die einzige Frucht gewesen zu sein, für die sich der Acker eignete. Im ganzen hatten 19 Einwohner aus Mügeln hier Acker gepachtet. Zuweilen ließ man aber auch Stücke ungenutzt liegen, so dass der Pachtertrag fiel, dann aber wieder stieg, wenn mehr unter den Pflug genommen wurde.

Interessant ist die Bemerkung, dass das Gericht über die wüste Mark Blumberg zwischen dem Amt Seyda und dem Nonnenkloster zu Jüterbog streitig war. Warum das Nonnenkloster hier Besitzrechte geltend machen konnte, entzieht sich unserer Kenntnis. Vielleicht ist Blumberg erst gegründet worden, als das Dorf Ellen, das dem Nonnenkloster gehörte, eingegangen war. Und das Nonnenkloster hatte Blumberg als Ersatz betrachtet, denn die Dorfstelle liegt nur einen Kilometer von Ellen entfernt. Das sind aber nur Vermutungen.

Die Grenzen waren in früheren Jahrhunderten oft umstritten. – Am 3. Mai 1688 soll dann die Gemeinde Mügeln die Mark Blumberg von dem Kurfürsten von Sachsen erhalten haben.

Die Größe der Feldmark beträgt 1122 Morgen. Die Flurnamen sind alle neueren Ursprungs, vermögen uns also keinen Anhalt für das einstige Dorf zu geben. Sie kennzeichnen allenfalls die Form der Flurstücke („Die Schmalen, die Langen“) oder ihre Lage zu Mügeln („Die Vordersten, die Mittelsten“) oder die Beschaffenheit des Bodens („Kloten“ – klumpiger Boden durch den lehmigen Untergrund). Der letzte Flurname findet sich dreimal an der Nordseite, da gibt es die Oehnaischen, die mittelsten und die Lipsdorfer Kloten. Der nordwestliche Teil in Größe von 7 Morgen führt die Bezeichnung Kirchenbreite. Wahrscheinlich gehörte dieses Flurstück der Kirche zu Mügeln.

So erinnert heute nur noch der Name Blumberg an das untergegangene Dorf. Wir wissen nichts von dem Schicksal der einstigen Bewohner. Und doch können wir uns ausmalen, wie schwer es ihnen geworden ist, ihr Heimatdorf für immer zu verlassen und in die ungewisse Fremde zu ziehen. Es ist still und einsam geworden, wo vor Jahrhunderten Geschlechter kamen und gingen, arbeiteten und mit dem Boden rangen, wo Feste gefeiert wurden und man die Toten zur ewigen Ruhe bettete.“

(Die Wüstung Blumberg bei Zellendorf. Von O. Brachwitz, Treuenbrietzen. In: Heimatbote vom 22. März 1935, mit einer handgemalten Karte, die die Lage der Wüstung Jähnickendorf, der Wüstung Kähnsdorf und die „Wüste Mark Blumberg“ vermerkt. Vgl. auch in der gleichen Zeitschrift vom 8. März 1935 den Artikel über die Wüstung Ellen bei Zellendorf. Dazu ist zu ergänzen, dass ein alter Bauer dort noch die Flurbezeichnung „Ellensche Höfe“ kennt. -  Kurt Klausnitzer hat eine alte Karte, auf der in Blumberg eine Kirche eingezeichnet ist, die mit Nonnen etwas zu tun hatte. (Besuch am 6.6.06.). Der Name „Blumberg“ muss nicht unbedingt auf Blumen zurückgehen, „Blum“ soll auch für die Schweinemast im Wald stehen. (Hinweis von Steffen Elstermann am 23.11.06.).

 

Das Dorf Jänickendorf südwestlich von Oehna hat bis zum Jahr 1280 Bestand gehabt. Gründe für den Untergang eines Dorfes gab es viele: Krankheiten, wie die Pest (der „schwarze Tod“); Kriegswirren, Feuerbrünste, mangelnde Ertragsfähigkeit der Äcker.

Viele Siedlungen sind aus wirtschaftlichen Gründen untergegangen. In der deutschen Ostkolonisation hat es bestimmt – neben genialer Planung – auch manche „Fehlgriffe“ in der Siedlungswahl gegeben; hier ein Hochwasser, dort Trockenheit und karge Böden.

Die Flächen von Jänickendorf wurden 1837 vom Amt Seyda nach Oehna verkauft: wer konnte ahnen, dass sich aus dieser Verschiebung einmal eine Landesgrenze entwickelt? Damals gab es dort eine Schäferei und ein Vorwerk, die von Seyda aus bewirtschaftet worden sind. Es waren Ackerflächen. Ein  Mann aus Oehna berichtet, dass sein Vater, der dort nach 1900 als Junge zum Schafehüten war, noch deutlich das Abheben der Lehmfundamente vom alten Dorf durch den unterschiedlichen Wuchs des Windhalms („Schmielen“) erkennen konnte. Von 1920 bis 1930 wurden auf der Gemarkung Jänickendorf eine Million Kiefernpflanzen gesetzt, auf ca. 35 Hektar. Aber noch heute sind an dieser Stelle Ziegeln und Siedlungsreste nachweisbar. Erst im Laufe der 30 Jahre des 20. Jahrhunderts verschwanden die auf den Fluren von Jänickendorf und Wendemark vorhandenen Waldteiche. Sie trockneten aus. Der Jänickendorfer Puhl behielt gerade so viel, dass es noch zu einer Hirschsuhle reichte. Ursache dafür wird eine neu installierte Beregnungsanlage des Gutes Mark Zwuschen gewesen sein, die das oberflächennahe Schichten- oder Grundwasser abpumpte. (Niendorf, November 2006.).

Eine besondere Tragik der Geschichte: Die Flächen von Jänickendorf wurden an Bauern in Oehna verkauft. Diese kamen damit zu größerem Land- und Waldbesitz. Das hatte zur Folge, dass 7 Bauernfamilien aus Oehna 1945 von Haus und Hof vertrieben worden sind, da sie ein paar Hektar mehr als 100 Hektar Land besaßen, damit als „Großgrundbesitzer“ galten und mit der Bodenreform enteignet wurden. Weitere 5 traf dieses Schicksal 1952. Im alten Kreis Schweinitz sind mit der Bodenreform nicht nur Gutsbesitzer, sondern zahlenmäßig weit mehr solche „Großbauern“ aus ihrer Heimat vertrieben worden.

 

An das Dorf Marcolin erinnert  die Flurbezeichnung „Marcolinische Wiesen“, bei Gentha. 1945 soll noch der Dorfbrunnen  zu sehen gewesen sein, er wurde von den Bauern zur Tränke für das Vieh auf den umliegenden Wiesen genutzt. Da es zu Zeiten von August dem Starken einen Grafen Marcolin gab, hat mancher schon eine Verbindung dorthin vermutet. Für ein Schloss aber oder ähnliches gibt es keine Hinweise.

In der Nähe dieser Wüstung befinden sich die „Backensberge“, sie könnten ihren Namen daher haben, dass sich die umliegenden Orte dort von den alten Backsteinen bedient haben, die in dem verlassenen Dorf zur Verfügung standen. Es könnte aber auch sein, dass der  Boden dort besonders gut für das Backen von „Backsteinen“ geeignet war.

Im Seydaer Kirchenbuch von 1848 ist ein „Torfaufseher auf den Marcolinischen Wiesen in der Seydaer Heide“, Friedrich Homann, vermerkt.

 

Mark Zwuschen ist nicht etwa vor dem Dreißigjährigen Kriege verheeret worden, wie ein Schriftstück behauptet, sondern in einem anderen blutigen Kriege, der im Churkreis große Verwüstungen angerichtet hat. Vielleicht ist aber Mark Zwuschen unter der großen Pest, die zu Zeiten Ludwig des V. 1346 Deutschland verödet hat, ein wüster Ort geworden. 1542 wird Zwuschen bereits eine wüste Mark genannt. Im Jahre 1591 waren erst 16 Hufen urbar gemacht, die übrigen Hufen waren noch mit Holz bewachsen. (unter Act. de. 19. Jun. 1787)“. (Seydaer Kirchenarchiv, Findbuch 277.).

Flurnamen der wüsten Mark Zwuschen: Morlbreite, Heidefeldschmalle, Heidefeldbreite, Mittelfeldschmalle, Puhlstück (vgl. englisch „pool“, auf den Flämingdörfern für den Dorfteich), Neuefeldbreite, Mittelfeldbreite, Neuefeldschmalle, Heidestücke, Morlschmalle. (Seydaer Kirchenarchiv, Findbuch 235; vgl. auch Findbuch 278 .).

Ein „Morl“ ist ein sumpfiges Gelände, eine nasse Niederung. So gibt es auch ein Seehausener und ein Naundorfer Morl. „Marzahna“ kommt wohl von Morl- bzw. Marlzahna (= „Zahna am Sumpf“), am Bach Zahna liegend. In Wergzahna nimmt der Bach seinen Anfang, „vrch“ = „Berg“, also „Zahna auf der Höhe“ bzw. „auf dem Berg“. (Niendorf, November 2006.).-

Mark Zwuschen, Marcolin, Jänickendorf, Blumberg, Ellen - dies werden nicht alle verlassenen Orte sein, die es auf dem Gebiet der Heide gibt: „Seit der Steinzeit hat der Mensch geackert und deshalb Teile des Waldes gerodet, nur waren seine Siedlungen nicht von Dauer, irgendwann musste er sie aufgeben (kein Dünger, hölzerne Ackergeräte, der Wald wuchs immer wieder und erfolgreicher in die Felder; aber stärkeres Nutz- und Brennholz war im näheren Umfeld des Dorfes erschöpft). Man siedelte dann eben ein paar Kilometer weiter erneut. Die alte Dorfstelle wurde nun wieder langsam zu Wald, aber des Menschen Tätigkeit blieb sichtbar: Eichen als Mastbäume hat er gefördert, auf seinen nährstoffreichen Abfallgruben wuchs Holunder, der ausgelaugte Acker wurde von der Kiefer erobert usw.; nach 2 bis 300 Jahren kamen vielleicht genau hier wieder Siedler an, rodeten usw. So hat der Mensch seit 10000 Jahren auch den Wald massiv beeinflusst. Die Ablösung der nacheiszeitlichen Kiefern-Birkenwälder durch Hasel und später Eiche so etwa ab 8000 vor Christus ist nach Meinung einiger Botaniker sehr wahrscheinlich vom Menschen mitgestaltet worden, der diese nahrhaften Früchte unbewusst oder schon gezielt verbreitete.“ (Steffen Elstermann, Anmerkungen November 2006.).

 

3. Von August dem Starken und den großen Jagden

Sachsen war groß zur Zeit August des Starken, die polnische Königskrone war zu seiner Macht dazugekommen, und der Fürst hatte viele Vergnügungen und auch Jagdschlösser, die man zum Teil heute noch besichtigen kann: im Erzgebirge: Augustusburg (1567-75) und das Jagdhaus Rehefeld (16. Jahrhundert); im Tharandter Wald das Jagdschloss Grillenburg (1554); der Friedewald nahe Dresden mit der Moritzburg (1542-46; in jetziger Gestalt 1723-76) und dem Hellhaus (1780); der Jägerhof Dresden (1567-68) in der Dresdner Heide; die Seydaer, Liebenwerdaer und Annaburger Heide mit der Glücksburg und der Annaburg (erbaut 1572-75); der Wermsdorfer Forst mit Schloss Wermsdorf (Jagdhaus 1574, Schloss 1608/17) und der Hubertusburg (1721/24); das Fasanenschlösschen (1769); Schloss Hartenfels in Torgau (1517 begonnen). Und das sind noch längst nicht alle!

 (Vgl. Hobusch, Erich: Sächsische Jagdordnungen und Jagdchroniken. In: Vom Jagen. Hrsg. vom Schloss Moritzburg als Begleitband zur Ausstellung „Vom Jagen“ 1992, 64. Und: Hensel, Margitta: Die gebräuchlichsten Jagdmethoden in der Zeit vom 16. bis zum 18. Jahrhundert. Ebenda, 30.).

Wegen des enormen Materialbedarfs für den Bau der Annaburg wurden u.a. große Teile des alten Schweinitzer Schlosses abgetragen; auf der realistischen Zeichnung von Dillich 1626 sind noch einige Reste zu sehen. (Elstermann, November 2006.).

Die Glücksburg – gebaut 1576 bis 1580 – war also eines von etlichen Jagdschlössern.

 

August I., Kurfürst von Sachsen (1526-1586) ließ die Glücksburg bauen, ein dreistöckiges Jagdschloss mit einem Turm. Zum Schloss gehörten ein Wohnhaus, ein Forsthaus, ein Reitstall mit Reithaus (Einsiedelberg genannt), ein Schatzhaus mit Silberkammer, eine Haftstube und eine Kornkammer. Umgeben war das Schloss von einem großen Fasanen- und Tiergarten, der von einer sechs Ellen hohen Mauer eingehegt war.

Der Tiergarten diente auch zum Einfangen von Schwarzwild, um es anschließend lebendig nach Dresden zu transportieren.

(Elstermann aaO 10f, aus: Taxations-Revisions-Werk der Oberförsterei Glücksburg-Seyda 1862-53, Archiv des Forstamtes Annaburg.).

Eine schöne Zeichnung der Glücksburg gibt es aus dem Jahre 1626, von Dillich.

Der kurfürstliche Rat Wolf von Kanitz beaufsichtigte den Bau; er bat den Kurfürsten um ein Gut bei Meltendorf. Für den Bau wurden vorwiegend die Bauern aus den umliegenden Dörfern Mügeln, Linda, Neuerstadt und Dixförda herangezogen; Steine sollen von der alten Burg Sydow gekommen sein.

 

Einen Hauch großer Weltpolitik erlebte die Glücksburg in den Jahren 1610 und 1611. Die Erbfolge um den Besitz der Grafschaften Cleve und Jülich war zwischen Brandenburg-Preußen und Sachsen umstritten. So trafen sich 1610 kurfürstliche Räte von Brandenburg und der sächsische Kurfürst Christian II. (verheiratet mit Hedwig von Dänemark, die 1632 die Genthaer Kirche stiftete). Der Kurfürst kam auch – wohl zum letzten Mal, nach vielen großen Jagden – am 1. Februar 1611 „mit großem Gefolge“ zur Glücksburg. 6 kurfürstliche Räte befanden sich in seiner Begleitung, 312 Pferde mussten untergebracht werden. Am „Gründonnerstag 1611“ kam die Gegenseite des Streites mit dem Markgrafen Sigmund von Brandenburg und dessen Schwager, Ludwig, Landgraf von Thüringen, „durch das schwarze Tor am Ausgange des zum Schlosse gehörenden Tiergartens (ca. 400 m ostwärts der heutigen Försterei) geritten, um Christian II. zum Fürstentag nach Jüterbog allweil zu geleiten“.

Christian kehrte mit seinen Räten verbittert und ohne jeden Erfolg vom Fürstentag in Jüterbog zurück und verließ am 31. März die Glücksburg. Kurz darauf verstarb er, am 23. Juni 1611, mit 28 Jahren in Dresden.

(Akten aus dem Staatsarchiv Weimar, eingesehen von August Freidank aus Mügeln am 4. Juni 1913; aus Papieren zur Glücksburg im Museum Schloss Moritzburg.).

 

Seine Witwe Hedwig, einst dänische Prinzessin und gleichzeitig Nichte der Kurfürstin Anna, die die Annaburg erbaute, bekam in einem Vertrag zu ihrer Mitgift (75000 Speziestaler, außerdem Schmuck, Silber und Geschirr) das Schloss Lichtenburg mit den Städten und Dörfern der Ämter Lichtenburg, Annaburg, Schweinitz, Schlieben und Seyda übertragen. In der Geschichte deutscher Fürstenhäuser war das eine Besonderheit, dass sie nicht nur das Besitztum am Schloss hatte, sondern dass sie wirkliche, selbständige Herrscherin – freilich unter dem Schutz des Landesherren – war. Zu ihrem Hofstaat gehörten ein Schwadron Dragoner, eine Kompanie Infanterie, ein Schlosshauptmann, zahlreiche Beamte und Diener und – ein Oberjägermeister.

(Claus Rummert in der Elbe-Elster-Rundschau vom 28.8.1991, aus Papieren zur Glücksburg im Schloss Moritzburg, aaO.).

 

Nicht nur die Kirche in Gentha hat die Kurfürstin Hedwig gestiftet – in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, wo es dort noch 2 Witwen und 2 Witwer gab; sie gab Ackergeräte und Vieh – und die Kirche zum Trost und zur Freude. Sie ließ auch in der Glücksburg eine Kapelle errichten, die am 8. September 1622 eingeweiht wurde, wohl nordwestlich am Schloss. Laut Inventarverzeichnis (Staatsarchiv Dresden, Nr. 155/32563) war diese Kapelle ausgestattet mit drei großen Gemälden mit den Darstellungen der Heiligen Drei Könige, der Beschneidung Christi und dem Erzengel Gabriel, dazu mit einer Empore, auf der sich mit Samt bezogene Bänke befanden.

(Nach Papieren zur Glücksburg aus dem Schloss Moritzburg, aaO.).

 

Kurfürst Johann Georg I. von Sachsen (1611-1656) brachte  insgesamt 101603 Stück Wildpret, davon 43395 Stück Rotwild - darunter 14676 Hirsche, 9970 Stück Rehwild - und 27551 Stück Schwarzwild zur Strecke. „Die Zahlen sind das Ergebnis nahezu wöchentlich veranstalteter Jagden, bei denen der Kurfürst selbst aber nicht ständig zugegen sein musste... Dass am sächsischen Hof mit Unkosten nicht gespart wurde, beweisen auch die enormen Ausgaben zur Unterhaltung der zahlreichen Berufsjägerschaft, großen Hundemeuten und Jagdutensilien... Die Glanzeit des Jägerhofes fällt in die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts, als über 250 Mann Jagdpersonal für die Organisation der höfischen Jagd sorgten. Da die großen Hauptjagden in einem Revier nur in großen Abständen abgehalten werden konnten, damit die Wildbestände sich erholten, wurden als „alltäglichere“ Formen die „Kleinen bestätigten Jagden“ durchgeführt. Dabei erhielten die „Besuchsjäger“ mit ihren Leithunden Vorsuche in einem kleineren Waldstück, das bei Bestätigung eines Hirsches mit Lappen, Tüchern oder Netzen umstellt wurde. Ohne großen Aufwand konnte nun das Wild dem Jagdherren oder dem Schießstand zugetrieben werden. Der erfolgreiche Ablauf eines solchen Jagens galt übrigens als Abschluss der Ausbildung eines Jägerburschen, der nun mit dem Tragen des Hirschfängers als „vollkommener“ Jäger anerkannt wurde.“

(Hensel, Margitta: Die gebräuchlichsten Jagdmethoden, aaO 32f.).

 

Das Jagdschloss Glücksburg lud zum Jagen und Feiern ein. Die Jagd diente der Repräsentation und dem Vergnügen, natürlich auch der Versorgung der kurfürstlichen Küche.

In der Sächsischen Staats- und Universitätsbibliothek kann man – mit weißen Handschuhen und unter strenger Aufsicht - Einblick nehmen in ein kostbares Jagdregister des Johann Georg I. von Sachsen. Von 1611 bis 1650 sind darin alle seine Jagden verzeichnet – auch jene Zusammenfassung der sagenhaften Anzahl von gejagten Tieren. Es ist ein prachtvolles Buch, mit goldfarbenen Beschlägen, handgemalten Bildern von Wildtieren und der Jagd. Alle Eintragungen wurden in kunstvoller Schrift vorgenommen. Am Ende eines Jagdjahres wurde aufgezählt, wo der größte Hirsch, das schwerste Schwein oder sonst ein besonderes Tier erlegt worden war.

Man bekommt eine Vorstellung über das große sächsische Reich mit den vielen Wäldern und Jagdgebieten, im Erzgebirge, im Thüringer Wald, im Harz, in der Lausitz, ja, bis nach Cleve hin. Und man findet dort auch die Glücksburg und unsere Orte wieder! Blättern wir einmal darin:

„Vorzeichnis was der Duchlauchtigste Hochgeborene Fürst und Herr Johann Georg Hertzog zu Sachsen Jülich Cleve und Berg, des Heiligen Römischen Reiches Ertzmarschalch und Kurfürst, Landgraff in Thüringen, Markgraf zu Meissen, auch Ober- und Niederlausitz, Burggraff zu Magdeburg, Graff zu der Marsch und Ravensberg, Herr zu Ravenstein, in viertzig Jahren als von Anno 1611 bis Anno 1650 an Hohen und Niedrigem Wildpret in Jagen, Pirschen, Streiffen und Hetzen geschossen, gefangen und gejatzt.“

Häufig wird die Annaburg erwähnt, so in den Jahren 1613 und 1614, und da: 1614 - entdecken wir plötzlich zum ersten Mal unsere Heide:

„Glücksburg Sontag den 29. Maij auff der Seydischen Heyden gepürscht – 1 Rehe.“

Im folgenden Jahr, 1615, dann:

„Seida. Montag den 8. Maij als sie von Belzig andro gereiset im Niemicher Gehege gehazt 7 Hasen.“.

Und im selben Jahr:

„Lichtenburg. Montag den 25. Septembris als die von der Glücksburgk anhere gereiset auff der Seydischen Heyden geprüscht

3 Hirsche als 1 an 16 Enden, 2 an 14 Enden; haben gewogen 2 über 4, 1 über 3½   Zentner. An dieser Stelle steht ein Zeichen, es sieht aus wie ein kleines o mit einem l und einem Doppelpunkt; es könnte die Bezeichnung eines sächsischen Zentners sein und damit vom Gewicht her fast einem heutigen Zentner entsprechen, =  51,381 kg; ein Hirsch mit 200 kg Lebendgewicht erscheint freilich ein sehr großes Gewicht zu haben; im Vergleich zu heute wurde ein Hirsch aber damals komplett (mit Eingeweiden) gewogen; vielleicht kann jemand noch eine bessere Erklärung beisteuern.

Mehr auf der Nonnen Heyden gepürscht

3 Hirsche Als 1 an 16 Enden, 2 an 10 Enden, haben gewogen 2 über 4 und 1 über 3½ Zentner.“

Im Jahr 1618:

„Glücksburg.

Sontag den 19. July im Stoltzenhainischen ein Jagen gehalten darinnen gefangen 3 Hirsche als 2 an 12, 1 an 8 Enden, es alle 3 in der über 4 Zentner gewogen.

Montag den 20. July in beysein dero Gemahlin und beyder churfürstlichen Fräulein, am Buchhorster Tham Ein Jagen gehalten darinnen gefangen

8 Hirsche als 1 an 14, 2 an 12, 3 an 10, 1 an 8 Enden, darunter 3 ider über 4 Zentner gewogen, 1 Spießhirsch; 5 Stückwildt (das sind weibliche Hirsche), 8 Rehe, 2 Rehekälber, 1 Keyler, 1 Bachen, 3 Frischlinge, 2 Hasen, 2 Füchse; 32 Stück.

Dienstag den 21. July drey Jagen gehalten, darinnen gefangen im Ersten Jagen auf Seydischer Heyden am Doppelhorster Tham

7 Hirsche als 1 an 14, 2 an 12, 3 an 10, 1 an 8 Enden, darunter 6 gewogen, 5 über 4, 1 über 3 ½ Zentner, 1 Spießhirsch, 2 Stückwildt, 1 Wildkalb (weiblicher junger Hirsch), 1 Rehe; 11 Stück.

Im andern Jagen im Seydischen Busche

3 Hirsche als 1 an 14, 2 an 6 Enden, der 1 über 4 Zentner gewogen; 1 Stückwildt, 1 angehend Schwein, 1 Hasen; 6 Stück.

Im dritten Jagen im Gadegaster Bruche

6 Hirsche als 2 an 14 , 3 an 12, 1 an 10 Enden, davon 5 über 4 Zentner gewogen.

Donnerstag, den 23. July in beysein dero Gemahlin und beyden churfürstlichen Fräulein am Brehmer Horst Ein Jagen gehalten darinnen gefangen

9 Hirsche 1 an 14, 3 an 12, 2 an 10, 3 an 8 Enden, davon 1 mehr als 5 Zentner, 6 mehr als 4; 1 Stückwildt, 1 Rehe, 1 Rehekalb; 12 Stück.

Freytag, den 24. July in beysein dero Gemahlin und beyden churfürstlichen Fräulein auff der Seydischen Heyden bey der Handt Ein Jagen gehalten darinnen gefangen 10 Hirsche als 2 an 14,1 an 12, 1 an 8, 2 an 6 Enden, davon 7 gewogen: 5 mehr als 4 Zentner, 2 mehr als 3 ½ Zentner; 1 Stückwildt, 3 Rehe, 1 Rehekalb, 4 Keyler, 2 Bachen, 1 Hasen; 22 Stück.“

Am Mittwoch darauf war dann Jagd „auffm Himmelsberge“, was allerdings zu der „Annaburgischen Heyden“ gezählt wurde und von Annaburg aus „bejagt“ worden ist.

1630, also schon mitten im Dreißigjährigen Krieg, taucht dann unser Gebiet zum letzten Mal auf; am 8. November jagt der Fürst bei Zahna, am 26. November bei Annaburg; und dann ist er bei uns:

„Mittwoch den 8. Decembris in beysein des Fürsten zu Anhalt, auff der Seydanischen Heyden Ein Streiffjagen gehalten, darinnen gefangen 19 hawende Schweine, haben gewogen 4 über 3 und 15 über 2 ½ Zentner; 3 angehende Schweine, 6 Keyler, 47 Bachen, darunter 3 gewogen: 1 mehr als 3 Zentner, 2 mehr als 2 ½ Zentner; 114 Frischlinge, 4 Stückwildt, 18 Rehe, 1 Hasen, 4 Füchse; 216 Stück.“ (Sächsische Landes- und Universitäts- Bibliothek, Sonderschriftensammlung, Mss R 7 b.).

Hier spiegeln sich die Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges wider: Der Kurfürst muss gar ein Jahr ganz mit dem Jagen aussetzen, weil er sich beim Militär befindet; erst 1647 kommt er wieder in unsere Gegend: aber nur bis zur Lichtenburg. Es ist wirklich sehr wahrscheinlich, dass die Glücksburg geplündert worden war und als Jagdschloss nicht mehr zu gebrauchen gewesen ist.

Da passte es, einige Jahrzehnte später den Alchimisten Kunckel mit seiner Experimentierwerkstatt dort unterzubringen.

 

An der Straße zwischen Mügeln und Oehna, 700 Meter hinter der Abzweigung der Dahmschen Straße, befindet sich eine Senke ähnlich eines Grabens von ca. 4 bis 5 Meter Tiefe, die sich „Schwedenschanze“ nennt. Es gibt nur eine Zeit, in der Schweden in unserem Gebiet Geschichte machten: Das war der Dreißigjährige Krieg, als sich die Truppen unter Gustav Adolf´s und seiner Nachfolger Führung durch unsere Orte nach Süden bewegten, in der Schlacht bei Lützen fiel der Schwedenkönig am 6. November 1632. Ich stelle mir vor, dass sich die schwedischen Soldaten dort in Erdwällen Unterkünfte bauten. Jedenfalls ist der Name ein Indiz, dass sie hier waren – und sicher das in der Nähe liegende Jagdschloss nicht „übersehen“ haben. In den Chroniken sind diese furchtbaren Jahre für unsere Orte beschrieben. Viele Orte verschwanden ganz von der Landkarte.

Im Jahre 1635 zog Wallenstein mit seinen Truppen durch unser Gebiet. Alte Handschriften, die in der Mellnitzer Turmkugel verborgen waren, berichten davon. In den „Heimatgrüßen“ (Evangelisches Monatsblatt) ist davon zu lesen:

 „Was sich nicht in unwegsame Sümpfe und Wälder flüchten konnte, das ging verloren; und was von der Geisel des Krieges und den wilden Lüsten entmenschter Kriegshorden verschont geblieben war, das fiel der Hungersnot und der Pest zum Opfer.

In den Jahren 1635 und 1636 müssen die Kriegsnöte nach den Schilderungen eines Augenzeugen, des damaligen Superintendenten Mühlig, die furchtbarste Höhe erreicht haben. Heerhaufen um Heerhaufen zogen kreuz und quer von Ort zu Ort, und jeder stellte seine unerfüllbaren Forderungen. Die Leute, die doch nichts mehr hatten und herbeischaffen konnten, wurden gemißhandelt und zu Tode gequält und gefoltert. Frauenschändung war an der Tagesordnung. Keine wurde geschont, der man habhaft werden konnte, auch Kinder und Greisinnen nicht. Den Männern reichte man den Schwedentrunk und füllte ihnen Mistjauche ein, bis sie starben, nur weil die Menschen kein Geld mehr hatten und keine Lebensmittel und Vieh, das man von ihnen haben wollte. Alles, was noch fliehen konnte, floh.“  

Die Kirche in Mellnitz war nach dem Dreißigjährigen Krieg eine Ruine, genauso wie viele Wirtschaften des Dorfes. Noch 1671, Jahrzehnte später, lagen von acht Gütern in Mellnitz sechs wüst.

(Aus: Die Geschichte der Kirche in Mellnitz, Pfarramt Seyda 1997.).

 

Die sächsischen Kurfürsten haben also in der Seydaer Heide gejagt und waren (jedenfalls bis 1630) auf der Glücksburg zu Gast; jedoch wohl nicht so häufig, denn sie hatten – wie wir gleich bei „August dem Starken“, fast 100 Jahre später -  sehen werden, einen vollen Kalender.

In der Akte des Oberhofmarschallamtes, welches eine Art Tagebuch über die Geschehnisse am Hofe führte, finden sich neben zahlreichen Amtsgeschäften, Audienzen, Kabinettsbesprechungen, noch mehr französischen und italienischen Komödien, Bällen, Militärübungen und Reisen auch Jagden, jedoch nur in kurzer Zusammenfassung. Die Glücksburg selbst ist dort nicht mehr erwähnt, selbst in einer Auflistung zur Instandhaltung der kurfürstlichen Schlösser kommt sie nicht vor.

Ein Ausschnitt, vom August 1718: (6. August)  Frühmorgens um 7 Uhr begaben sich Ihre Königliche Majestät mit einigen dero hohen Ministri und der neuen Chalouppe zu Wasser nacher Lichtenburg und sind in Torgau abends um 6 Uhr glücklich angelanget und ausgestiegen und dann ferner von Torgau, selbigen Abend wieder abgegangen, nach Lichtenburg aber zu umb 8 Uhr zu Lande angekommen. Lichtenburg. (7. August) Gelangete Ihre Exzellenzen die Fr. Gräfin von Dänhoffin, die holdselige Poceij, und der junge Prinz von Teschen von Mittags allhier. (8. August, Sonntag), wurde die Trauer wegen Ihrer Hoheit der Königlichen Frau Mutter Annen Gorbien gebohrene königlich-dänische ErbPrinzessin zu Dannemark und Norwegen, ... verwitwete Churfürstin zu Sachsen, unserer allergnädigsten Frauen, sowohl von denen Dames, Ministre, Cavalliers, Subalternen (= Untergebenen), Laccaien und anderen Ordinaten bey Hofe angelanget, wurdet dem Läuten, welches bis von 10 bis 11 contin. (andauerte) der Beschluß gemachet.

(= Trauerzeit für die Mutter Augusts beendet; 9. August:) Frühmorgens nach 4 Uhr begaben sich Königliche Majestät nach dem Jagen bey der Annaburger Heyde und kamen mittags umb 11 Uhr wieder hier an,

Vormittags langeten Ihre Excellenz der Herr Oberhofmarschall, alhier an, weiterhin desgleichen der Päbstliche Nuntius Grimaldi. Abends begaben Ihre Excellenz der Oberhofmarschall sich wieder nacher Torgau.

(10. August:)Frühmorgens begaben sich Königliche Majestät mit den Dames und Cavalliers auf die Jagdt glock 8 Uhr und schossen die Dames und Cavalliers nach dem Los, so in 36 Nummern bestanden, wurde in diesen Ausschießungen Zahl 713 Stück, worunter etliche Schweine, etliche Füchse und viele Haasen, gestellet, nach dem Schießen begaben sich Königliche Majestät zur Tafel, und war das Tafel Oval auch mit 36 Personen besetzet, und wurde in dem neuerbauten Hauße sowie .. ist ausgeschossen, und auch allda gespeiset, und ging alles magnifice („auf das Beste“) zu. Nach der Tafel begaben sich Königliche Majestät wieder nacher Lichtenburg.

(11. August:)  Früh nach 9 Uhr begaben sich Königliche Majestät mit dem Hofstaat von Lichtenburg nachher Torgau, und langet mittags umb 12 Uhr alda an, nachdem zu nachher die Auderey so bey Torgau liegen besichtigen hatten.

12. August Fünf Uhr begaben sich Königliche Majestät von Torgau nach Dresden, alwo sie nachmittags umb 1 Uhr angelangeten und speiseten bey den Ex. TrabantenHauptmann von Seyffertiz.“

Sächsisches Haupt-Staatsarchiv Dresden, OHMA O 498 (1717).

 

August der Starke ist deshalb als Jäger in unserer Heide so bekannt, weil es davon ein Denkmal gibt: Die „Schöne Säule“ in der Mitte der Heide, an der Kreuzung Mellnitzer Weg/Roter-Kreuz-Weg, erinnert daran, dass er dort 1719 einen „kapitalen Hirsch“ (also mindestens einen 18-Ender) erlegt hat; an dieser Stelle musste dann – was für ein willkürlicher Akt! – extra eine ganz alte Eiche gefällt werden, um eine große Tischplatte für das Jagdmahl zu haben.

„Ringsum lagerte die Jagdgesellschaft an der Seite des Kurfürsten, die waren: Heinrich von Erdmannsdorf, Oberjägermeister in Sachsen und Oberhauptmann von Polen; Seydas Oberförster Friedrich Matthias Strese; Amtmann Backbusch, Forstmann Leopold Jungfang.“ (Akten des Staatsarchivs Weimar, aaO; die Namen standen und stehen auf der Säule.).

Aus dem Stamm wurde die „Schöne Säule“ gebaut; 1957 war sie noch da, galt aber als verfallen; im Zuge der militärischen Nutzung verschwand sie ganz. Auf Initiative des Heimatvereins Glücksburger Heide wurde in den 90iger Jahren wieder eine „Schöne Säule“ von Holzbildhauer Kuhrmann aus Jessen gefertigt und dort aufgestellt.

 

Für die Bewohner der um die Heide liegenden Orte sah das Jagdvergnügen sehr anders aus als für die hohen Herren. Sie hatten kein Recht zur Jagd, gerade einige Gutsbesitzer durften die „niedere Jagd“, also auf Rebhühner, Hasen und Rehe, ausüben; die „hohe Jagd“ aber stand allein dem Adel zu. „Wilddieberei“ wurde streng bestraft, auch konnten sich die Bauern kaum wehren, wenn das Wild die Ernte auf ihren Feldern zerstörte. “Nur in ausnehmend seltenen Fällen durften sie es von den Äckern scheuchen, so im Jahre 1545 nach anhaltenden Klagen.“ (Elstermann aaO 10, aus: Stoy, Fritz: Die Seydaer Ackerleute dürfen das Wild von ihren Fluren scheuchen. Heimatbote 1930 Nr. 22.).

Hatten die Herrschaften in Dresden eine Jagd geplant, so kam einige Tage vorher die Nachricht an den Amtsmann in Seyda. Im Seydaer Amtsbuch hieß es kurz „Jagdfrohnde nach Ermessen.“ (Elstermann aaO 11, aus: Die Land- und Erbbücher des Amtes Seyda von 1506 und 1550, abgedruckt in „Monatliche Unerhaltungs-Beilage, Gratisbeilage zum Schweinitzer Kreisblatt“ Nr. 2/1905.).

So wurden alle Bauern und Knechte zusammengerufen, um eine „Lapp(en)jagd“ zu veranstalten. Sie mussten alles – selbst in Zeiten der Ernte! – stehen und liegen lassen, und sich um die Heide versammeln. Von außen wurde das Wild nun langsam – das konnte Tage dauern – nach innen getrieben. Dort verhinderten an Seilen befestigte Tücher („Lappen“), oft geschmückt mit dem Wappen des Landesherren, ein Ausbrechen des Wildes. Zur Orientierung nutzte man die Jagdflügel: Sechs Wege waren so angelegt, dass sie sich sternenförmig in der Mitte (in der Nähe der Schönen Säule) trafen, an einer Lichtung. Auf diese Weise wurde das Wild dort konzentriert. Es kam darauf an, dass nichts „durch die Lappen geht“. War der Kurfürst und sein Gefolge dann auf Schloss  Glücksburg eingetroffen, begann die Jagd, und es war ein leichtes, eine lange Strecke zu erlegen. Zwischendurch wurde dann ein Frühstück, wie etwa an der „Kalten Küche“, eingenommen. „Die hohen Herren saßen auf vorgefertigten Bänken und an Tischen, die Treiber lagen am Waldrand und ließen sich als „Ergötzlichkeit“ die vom Jagdherren spendierte Flasche Braunbier munden.“ (Tafel an der „Kalten Küche“, aufgestellt vom Heimatverein Glücksburger Heide.).

„Gleichgültig zu welcher Jahreszeit, hatten Fronbauern diese Dienste zu übernehmen. Dazu zählte der Transport des umfangreichen Jagdzeuges zum Umstellen der Flügel, die Verpflegung der Jagdherren und die Aufzucht der Hunde. Das eigentliche Jagen wurde vom bediensteten und ausgebildeten Jagdpersonal des Hofes geleitet. Von den Flügeln her wurde das Wild zunächst in das „Zwangstreiben“ des Jagens eingetrieben, wo sich bald auf engstem Raum hunderte Tiere zusammendrängten. Von dort aus gelangte das zum Abschuss vorgesehene Wild in die „Kammer“, ein durch hohe Tücher umfriedetes Gatter, aus dem es nach Heraufziehen von Rolltüchern in den „Lauf“ vor die Flinten der Herrschaften sprengte, die sich im sicheren Schießstand aufhielten. Nun wurde es von Hunden und Jägern solange am Schirm oder Stand vorbeigetrieben, bis das letzte Tier erlegt war. Wie solche Jagdanlagen einzurichten waren, beschreiben die zeitgenössischen Jagdautoren, wie Hanns Friedrich von Flemming in seiner umfangreichen Abhandlung „Der vollkommene teutsche Jäger“ von 1719.“ (Hensel, Margitta: Die gebräuchlichsten Jagdmethoden, aaO 31f.).

Der „Einsweg“, noch heute als Weg zwischen Leipa und Seyda zu erkennen, stellte den 1. Flügel dieser Treibjagd dar. „Ebenso verhält es sich mit der Bezeichnung „Alte Fünf“.“ (Elstermann aaO 11, mit Verweis auf Wotte, Herbert: Jagd im Zwielicht. Von Jagdherren, Jägern und Wilderern. 3. Auflage, Berlin 1988.).

Die Richter der Dörfer (vergleichbar dem „Bürgermeister“) hatten die Aufgabe, das Wildbret abzufahren. Auch außerhalb der eigentlichen Jagden waren Dienste zu leisten, „es galt die Tränken, Jagdflügel und Netze zu unterhalten“; in Seyda gab es ein Gestüt, um die Pferde bereit zu haben.

 

Neben der „Lappjagd“ gab es andere Formen der Jagd.

Im 16. Jahrhundert waren noch die herkömmliche Fang- und die freie Hetzjagd, aber auch die Pirschjagd verbreitet. „Hetzjagden erfolgten ohne Jagdzeug wie Netze und Tücher durch Wald und Flur, bis das Tier erschöpft war und sich der Hundemeute zum Kampf stellte. Mit Sauspieß oder Schwert wurde es vom Jäger abgefangen. Aus dieser Jagdform entwickelte sich später die aufwendige Parforcejagd. Bei den Hetzjagden über freie Feldfluren benutzte man gern natürliche oder künstlich angelegte Wildzäune (Hecken, Zäune und Reisiggeflechte), deren freibleibende Lücken das Wild hindurchzwang, um auf der anderen Seite von den Jägern abgefangen zu werden...

Die Pirschjagd bestand dagegen im Anschleichen an das Wild, um es mit Armbrust, beziehungsweise später mit dem Gewehr zu erbeuten. Dafür wurden spezielle Pirschsteige angelegt, die sich nahe an Wildwechseln und Äsungsplätzen befanden. 1560 wurde in der „Kurfürstlich Sächsischen Hofordnung“ unter August das Anlegen und die gewissenhafte Pflege von Pirschsteigen angeordnet.“

(Hensel, Margitta: Die gebräuchlichsten Jagdmethoden... aaO.).

 

Schon 1718 jedoch bekam Matthäus Daniel Pöppelmann den Auftrag von „Kurfürst Friedrich August I. von Sachsen und König August II. von Polen, genannt August der Starke“, die Moritzburg zu einem repräsentativen Jagdaufenthalt zu verwandeln. Damit hatten die Kurfürsten das Jagdvergnügen „vor der Tür“. (Möbius, Inge: Moritzburg und die Jagd. Eine Einführung. In: Vom Jagen, aaO 9.).

Die Glücksburg kommt in den Aufstellungen zu Instandhaltungsmaßnahmen des Oberhofmarschallamtes für die verschiedenen Schlösser danach nicht mehr vor.

 

Mit der Freude am Jagen kamen die sächsischen Kurfürsten auch dazu, sich um den Erhalt des Waldes zu kümmern. Nur in großen Wäldern gab es noch Rot- und Schwarzwild, ohne Wald wären derartige Jagden nicht möglich gewesen. Das sternförmige Wegenetz findet sich in vielen landes-herrlichen Waldungen. Es diente aber nicht nur der Jagd, sondern auch als erste planmäßige Aufteilung der Wälder.

An großen Bäumen wurden „Forstzeichen“ angebracht, also Ortszeichen zur Orientierung, meist mit großen Buchstaben.

 

Freilich gab es noch keine Forstwirtschaft im heutigen Sinne. Die verantwortlichen Forstknechte teilten „Gehaue“ ein, in denen Holz geschlagen werden durfte, und bezeichneten „Masteichen“, die stehen bleiben mussten. Eine der älteren Forstordnungen ist die aus dem Jahre 1560, von Kurfürst August erlassen. Sie entstand auch aus der Sorge um eine Holznot durch Raubbau und enthielt recht umfassende Schutzbestimmungen für den Wald. „Die Forstknechte hatten für die Einhaltung der Schläge, für die Nachzucht des Holzes und allgemein für den Waldschutz zu sorgen. Das Bruchgelände war damals sehr versumpft und nur bei starkem Frost zu betreten. So war eine regelmäßige Nutzung vermutlich gar nicht möglich.

Die Kiefern-Eichen-Bestände hat man damals schon schlagweise benutzt und zumindest auch teilweise künstlich begründet. Jedenfalls gab es die Verpflichtung der Bevölkerung, in Mastjahren Eicheln zu lesen (I). Die Forstknechte hatten auch auf eine richtige Abgabe des Holzes an die Berechtigten zu achten. Dabei hatten sie manchmal einen schweren Stand gegenüber der Bevölkerung. So lag um 1537 der „Holzforster“ Gregor Schultz in Seyda mit den dortigen Bürgern im Streit. Das von diesen beanspruchte Leseholz sei nicht vorhanden, doch das ihnen gebotene Klafterholz wollten sie nicht bezahlen. Erst der Schweinitzer Amtmann konnte den Streit beenden.“ (Elstermann aaO 9, I = aus dem Archiv des Forstamtes Annaburg: Abschätzung und Einrichtung der Oberförsterei Seyda im Regierungs-Bezirk Merseburg 1837; er verweist auch auf Kienitz, Erwin: Wandlungen des Holzartenbildes im sächsischen Staatswalde seit dem 16. Jahrhundert. Tharandter Forstliches Jahrbuch 1936; sowie Stoy, Fritz: Die Bürger von Seyda und der Amtswald, Heimatbote Nr. 10, 1935.).

 

Die erste Nachricht über ein „Forst- und Jägerhaus“ in Seyda datiert aus dem Jahre 1592, ebenso gab es ein Forsthaus in Glücksburg. „Bis zum Jahre 1568 wurde der gesamte sächsische Staatswald in Forstmeistereien eingeteilt, die Seydaer Heide unterstand der Oberforst- und Wildmeisterei in Annaburg.“ (Elstermann aaO 10; Erläuterungsband zur Standortskarte StFB Jessen, 1956.).

 

Ein Nachfahre eines „Königlich Polnischen und Kursächsischen Hegemeisters“ unter August dem Starken wohnt seit kurzem wieder in der Heide: Kantor Genterczewsky, am Rande von Mügeln. Jedoch ist er wohl nicht hier eingesetzt gewesen. Das Reich des Sachsenfürsten war ja groß: es reichte bis nach Thüringen und in den Harz hinein, und im Osten in die Weiten des alten Polens. Die Wappen in unserer Kirche und am Portal von Schloss Moritzburg gleichen sich ebenso wie die Farbgebung etwa am Haus Kirchplatz 2: alles ist aus der selben Zeit! Die Wappen zeigen neben dem sächsischen Wappen den polnischen weißen Adler für Kleinpolen und den Reiter für Großpolen und Litauen – es steht für die sächsisch-polnische Allianz. So hatte der Herrscher ein weites Feld, auch für seine Reisen und Jagden.

Den Hauptraum der Eintragungen nehmen in diesen Jahren Komödien ein: italienische und französische Lustspiele, Ballette, große Feste am Hofe, mit denen repräsentiert wurde. Dazu und dabei gab es natürlich Staatsgeschäfte zu erledigen, „Audienzen“, Anhörungen des Kabinetts, Prüfung von Gesetzesvorlagen. Es ist vermerkt, welche Gottesdienste Seine Majestät besuchte, und – besonders wichtig – wann wer am Hofe das Abendmahl nach evangelischem oder katholischen Ritus feierte – schließlich war zum Erhalt der polnischen Krone der Übertritt zum Katholizismus notwendig. Das Militär musste begutachtet werden, und der Herrscher musste sich sehen lassen, auf der Messe in Leipzig wie regelmäßig in Polen. So blieb wenig Zeit für die Glücksburg, die ihre Blütezeit wohl 100 Jahre vorher gehabt hat. Immerhin war er da, davon zeugt die Schöne Säule. Und der Oberhofmarschall hat ja aus seiner Perspektive aus Dresden geschrieben.

 

Die Seydaer Kirchenbücher geben Auskunft über die Familien der Seydaer Oberförster und Forstgehilfen, leider erst seit 1708, da in diesem Jahr ein großer Stadtbrand die Kirche und auch das Pfarrarchiv vernichtete.

Bemerkenswert ist, dass die Oberförster neben den Amtsmännern und Superintendenten das Recht auf eine Bestattung in einer Gruft innerhalb oder außerhalb der Kirche hatten. So ist der Oberförster Carl Heinrich Müller, der 1740 in Seyda heiratete und hier 1785 starb, „in der Gruft der Kirche beigesetzt“. Er war „Hofjäger und Oberförster“.

In der „Oberschicht“ gab es auch einige verwandtschaftliche Beziehungen: Der Oberförster Friedrich Wilhelm Neese war mit einer Tochter des Superintendenten Gormann verheiratet, wie ein Taufeintrag zu einer Tochter 1711 kund tut. Der Oberförster Christian Francke heiratet 1735 die 17jährige Tochter des „Königlichen Actuarias invatus“ und stirbt 1739 mit 66 Jahren. Der „Förster in Seyda“ Johann Wilhelm Abesser heiratet 1807 in Seyda die Arzttochter, er stirbt 1852 mit 77 Jahren, seine Schwiegerstiefmutter war Superintendententochter, 1843 wird er als „königlicher Förster“ bezeichnet.

 

Im 16. Jahrhundert entstanden auf direkte Veranlassung des Kurfürsten die ersten genauen Karten der kursächsischen Wälder. Sie ermöglichten erstmals einen genauen Überblick über deren Lage und die wichtigsten forstlichen Verhältnisse. Sie wurden somit Grundlage für eine planmäßigere Landesentwicklung und sind noch heute hochinteressant zu lesen. Einige Wege haben sich über die Jahrhunderte kaum verändert! Eine der ältesten Karten ist wohl aus der Zeit um 1560, von dem Mathematikprofessor Humelius in Leipzig angefertigt. Es ist eine Rundkarte, also aus zentraler Perspektive: Der Mittelpunkt ist der Wald, wo von oben auf den Globus geschaut wird.

(Im Flur der Außenstelle der Stadtverwaltung in Seyda ist diese Karte zu sehen. Bürgermeister Motl hat sie in Dresden entdeckt und eine Kopie mitgebracht.).

 

Die erste sächsische Landesaufnahme geschah zwischen 1586 und 1607. In dem Kartenausschnitt erscheint die „Seydische Heyde“ zwischen dem „Stedlein Seyda“, der Glücksburg, Morxdorf und Gentha kleiner als heute; Leipa und Oehna liegen weiter ab.

Zwischen Seyda und dem Beginn des Waldes liegt die „Schaeferey“. Die Kartographen vermerken, dass ihr Werk ein schwieriges war; hätten sie nicht einen alten Mann gefunden, der ihnen die alten Grenzen an der wüsten Mark Jänickendorf zeigte, wäre es ihnen nicht möglich gewesen, diese detaillierte Karte zu zeichnen. Viele Orte im Forst sind mit ihren Namen vermerkt und erzählen alle eine eigene Geschichte: „An der alten Hirschtränke“ oder „An der toten Magd“. Daneben finden sich die Wegezeichen, die auch in die Rinde der Bäume geschnitten und mit roter Farbe hervorgehoben waren, damit niemand vom rechten Weg abkam.

Vergleicht man nun dieses Kartenwerk mit neueren Karten, so wird deutlich, dass die Grenzen der alten „Seydischen Heyde“ teilweise bis heute als Eigentumsgrenze im Wald und als Landesgrenze zu Brandenburg erhalten ist. Es ist der Staatswald, heute Bundes- und Landesbesitz. Damals war fast kein Bauernwald vorhanden! Die Rodungen der Siedlungszeit ließen nicht viel übrig, außer den Bannforsten der Landesherren. „Bann“ heißt hier – „Schutz“. - Deshalb waren Bauern, Müller, Gutsbesitzer, Beamte und Kirchengemeinden so auf die kurfürstlichen Berechtigungen für Brenn- und Bauholz angewiesen: Sie hatten nicht genügend eigenen Wald!

(Informationen von Herrn  Elstermann Oktober und November 2006).

 

4. Brennholz und Bauholz, Glas- und Pechhütte

Der Bedarf an Holz in den umliegenden Dörfern war groß, wenn es auch in unserem Gebiet nicht zu Holzmangel kam. Der Landesherr verstand es, sich über Berechtigungsscheine dauerhafte Einkünfte aus dem Wald zu sichern. Diese bestanden schon vor dem Jahr 1501, also bevor der sächsische Kurfürst das Land und die Orte erwarb. Sie wurden übertragen. (Elstermann aaO 13.). Der Wald wurde auch als Futterquelle für die Tiere genutzt. In einer Nachricht aus dem 16. Jahrhundert heißt es über die Bürger Seydas: „Sie haben auch mit ihrem Vieh die Hutung im Prachholz und hinder der Schefferey nach der Heyden biß an das gebrannte steinchen und den saum lang byß abn die fuchsgruben, weiter dürfen sie noch andere mit ihrem Vyhe auf der Heyden nicht hüten, ...“

(Elstermann aaO 14 aus: Stoy, Fritz: Die Bürger Seydas, aaO, 39.).

„Für jede berechtigte Gemeinde gab es im Wald bestimmte Gebiete, auf denen das Vieh unter Aufsicht spezieller Hirten gehütet wurde. Weit verbreitet war auch die Schweinemast... Mit Eicheln gemästete Schweine waren sehr geschätzt, da ihr Fleisch dadurch einen angenehmen Geschmack erhielt.“ (Elstermann aaO 14 aus: Hasel, Karl: Forstgeschichte. Ein Grundriss für Studium und Praxis. Hamburg und Berlin, 1985.). „Den Gemeinden Seyda, Mellnitz und Morxdorf stand außerdem das Recht zu, das Gras auf ihren Hutungsdistrikten im Bruch zu sicheln.“ (Elstermann aaO 14.).

Für die Berechtigungen waren Gegenleistungen zu erbringen, Geld- und Naturalabgaben, Jagddienste, Wegeunterhaltung im Forst. Freilich war die Heide groß gegenüber der geringen Bevölkerungszahl der umliegenden Orte: Seyda hatte 1697 gerade 300 Einwohner. (Elstermann aaO 14.).

 

Bis zum 18. Jahrhundert hat es in dieser Gegend keine größeren holzverbrauchenden Gewerbe gegeben. Abgesehen von den umfangreichen Abgaben an die Berechtigten (Anlage 6) wurde das Holz überwiegend in die nähere Umgebung verkauft. Der nahe waldarme Fläming mit seinen wohlhabenden Dörfern sicherte einen guten Absatz. Zeitweise wurde auch Brennholz an die Floßadministration zu Elster geliefert (III). Um diesen Ort an der Elbe zu erreichen, musste das Holz mehrere Stunden lang mittels Fuhrwerken transportiert werden. Bei den damaligen Verkehrsverhältnissen dürfte dieser Absatzmarkt eher bescheiden geblieben sein. Daneben gab es auch Nutzungen aus besonderen Anlässen. So gewährte der Kurfürst nach dem Seydaer Stadtbrand von 1708 auf „alleruntertänigstes Vorstellen“ 250 Stämme Bauholz (25, Nr. 19).“ (Elstermann aaO 15, Anlage 6: folgt; III = Taxations-Revisions-Werk der Oberförsterei Glücksburg-Seyda 1862/63, aus dem Archiv des Forstamtes Annaburg; 25  = Gerhardt, Hermann: Seyda einst und jetzt. Heimatbote Nr. 19, 1927.).

 

Die Geschichte der Glasmacherei in Glücksburg begann im Jahre 1677. Nach einer Eintragung im Mügelner Kirchenbuch hatte Johann Friedrich Kunckel dort eine Experimentierwerkstatt. Er stammte aus Rendsburg, aus dem Herzogtum Hannover, und gehörte zu den herausragendsten Alchimisten seiner Zeit. Durch die Umwandlung unedler Metalle in Gold sollte der die sächsische Staatskasse füllen. Dabei machte er Entdeckungen auf dem Gebiet der Glastechnologie, die bis heute genutzt werden. „Außerdem hat der den Stein der Weisen gesucht, eine Tinktur, die das Leben verlängern sollte; und er hat dabei den Phosphor entdeckt. Kunkel war zunächst in der Zeit von 1669 bis 1673 auf der Annaburg tätig. Auch hier bestand seine Hauptaufgabe darin, Gold zu produzieren. Er erhielt für die damalige Zeit ein außerordentlich hohes Gehalt von 1000 Talern, nebst Vergütung für alle Materialien, Instrumente, Gläser und Kohlen. 1677 setzte er seine Tätigkeit auf der Glücksburg fort. Dicht bei der Glücksburg legte er eine Glasfabrik an. Hier wurden Tafel- und Hohlglas (Flaschen und Fensterscheiben) hergestellt, die von besonderer Güte waren. Kunkel war nun hier mehrere Jahre tätig, aber da man ihm sein Gehalt nicht mehr auszahlte, beschwerte er sich. Daraufhin erhielt er folgenden Bescheid: „Kann Kunkel Gold machen, so bedarf er kein Geld; kann er solches aber nicht, warum sollte man ihm Gold geben?“ 1679 verfasste er hier eine Schrift über die Vervollkommnung der Glasmacherkunst. Weitere Aufzeichnungen im Archiv sprechen von dem „Kunkel´schen Bleiglas für die sächsische Königstafel“ . Johann Georg II. wollte jedoch Gold, und da dies ausblieb, drohte er Kunkel „ein finsteres Loch auf dem Königsstein“ an. Das mag die Ursache dafür gewesen sein, dass Kunkel aus Furcht vor der Verwirklichung dieser Androhung die Glücksburg bei Nacht und Nebel verließ, zum nahem Kurfürstentum Brandenburg überwechselte und vom Kurfürsten von Brandenburg mit offenen Armen aufgenommen wurde. Dieser Kurfürst erkannte die Geldquelle „Glas“. Kunkel erhielt ein Jahresgehalt von 500 Talern. In der Nähe von Potsdam nahm er eine Glashütte in Pacht und erfand hier das Rubinglas, das zu schönen Pokalen verarbeitet wurde.

Unter Friedrich III. von Brandenburg fiel Kunkel jedoch dann in Ungnade, desertierte nach Schweden, wurde dort königlicher Bergrat und zugleich in den Adelsstand erhoben. Fortan führte er den Namen „Kunkel von Löwenstein“. Berühmt geworden, verstarb er 1703.“

(Papiere zur Glücksburg aus dem Schloss Moritzburg, dabei steht: „So ist dies aus den Akten des Staatsarchivs Weimar zu entnehmen, eingesehen von A. Freidank/Mügeln. Vermutungen nach könnte das Rubinglas auch in Glücksburg erfunden worden sein, da man bei Grabungen schon dicht an der Oberfläche nicht nur grüne und weiße Scherben, sondern auch braune und rötliche Glasscherben gefunden hat.“ – Nach Illing, Gerhard: Zur Glücksburg (unveröffentlichtes Manuskript), 1987, was bei Elstermann aaO 16 verwendet wird, heißt er „Kunckel von Löwenstjern“.).

 

August der Starke erteilte am 2. März 1700 die Order zum Wiederaufbau einer „Glasmühle“ und einer Schleiferei in Glücksburg.

Dies geschah trotz des Einspruchs vom Oberförster Th. Eberwein zu Mügeln (sein Sohn ist für den Ausbruch des großen Stadtbrandes in Seyda 1708 verantwortlich).

Der Oberförster schrieb am 10. Juni und am 17. Juli 1699 an den Kurfürsten, dass das Betreiben einer solchen Glasmühle hier unmöglich sei, wegen der Feuergefahr durch einen solchen Glasofen im Jagdgebiet. Doch schon am 12.12.1699 wurden erste Baumaßnahmen für die in der Nähe des „Jagdhauses“ Glücksburg gelegene Hütte abgerechnet.

 

Die Bauausführung wurde für 3000 Taler an „Constantin Grohmole und Consorten“ übertragen (32). Zur Wahl Glücksburgs mag neben dem Waldreichtum sicherlich auch Kunckels früheres Wirken geführt haben. Der Landjägermeister und Oberforstmeister Carlowitz in Annaburg erhielt am 28. Mai 1700 die Anweisung zur Genehmigung des Glashüttenbaues in Glücksburg. Den Pächtern der Glashütte wurden die Gebäude für einen Zins von 60 Talern übertragen, das Holz sei aus den Forsten Seyda und Glücksburg zu entnehmen und an das Amt Seyda zum Taxpreis zu bezahlen (32).

(Elstermann aaO 16; 32 = Illing, Gerhard: Zur Glücksburg (unveröffentlichtes Manuskript) 1987. – „Vermutungen lassen den Schluss zu, dass die Glashütte unmittelbar hinter dem Park der Glücksburg stand. Bei Grabungen an dieser Stelle findet man schon in einer Spatenstichtiefe unzählige Glasscherben.“ (Papiere über die Glücksburg im Schloss Moritzburg.).

 

Im Jahr 1700 setzte sich Tschirnhaus für diese Glashütte ein, die mit dem Dresdener Unternehmen bis 1717 gemeinsam geleitet wurde, zunächst von den Gebrüdern Fremel, die am 15. Juni 1701 an Tschirnhaus schrieben, dass die Hütte wegen Holzmangel, Brandgefahr und Jagden schlecht ginge. Der Buchhalter Meyer dahingegen berichtete in seinem Gutachten vom 1.7.1701, dass die Glücksburger Hütte sehr gut arbeitet. Am 8.9.1701 wurde Meyer „Faktor“ (=“Macher“), und 1709 Pächter der Hütten zu Dresden und Glücksburg. Er berichtete, dass er mit zehn Glasmachergesellen und einem Lehrling erfolgreich arbeitete. (Haase, Gisela: Sächsisches Glas. 1988, 150).

Glasmacher Konstantin Fremel wird im Mügelner Kirchenbuch 1701 als „Glasherr zu Glücksburg“ erwähnt.

„Insgesamt sind in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts Glasmacher, Schürer, Schraubenmacher u.a. aus folgenden Familien in Glücksburg nachweisbar: Bartel (Barthel), Bayer (Beyer), Böhme (Böm), Chambitzky, David, Dietze, Dürringer, Eibenstein, Friedrich, Gelsdorf (Gölsdorf), Greiner, Gundlach (Kundlach), Heintze (Hintze), Heinrich, Heucke, Herschel, Höhne (Höne), Karig, Kunckel (Junckel), Michel, Müglitz, Müller, Opitz, Pfläumer (Pfleimer, Pliemer), Pietz (Biltz), Pohle, Rebisch, Rüdiger, Schadler, Schallaster, Schlägel (Schlegel), Schott (Scott), Schüttig, Sergis, Terriges, Wander, Zänker, Zeitz (Seitz).“

Haase, Gisela: Sächsisches Glas, Leipzig 1988, 284; sie schreibt dort weiter: „Für die Auszüge aus den Kirchenbüchern Mügeln und andere Hinweise danke ich Herrn Adolf Ladiges in Wedel. Er vermutet, dass die Hütte bereits 1677 durch Johann Kunkkel gegründet worden ist oder als Experimentierlabor von ihm genutzt wurde (lt. schriftlicher Notiz im Kirchenbuch Mügeln).“.

 

Die Spezialisten für die Glasherstellung wurden offensichtlich aus der Ferne geholt. Im Seydaer Kirchenbuch von 1738 ist eine Heirat von Heinrich Griesbrich mit der einheimischen Anna Elisabeth Eichelbaum vermerkt. Er war Witwer, Glasmacher aus Glücksburg, und katholisch – was sehr selten war in dieser Gegend!

 

„Glas aus Glücksburg war sehr gefragt. 1728 berichtete der Pächter der Potsdamer Hütte, G.E. Krieger, auf der sächsisch-preußischen Handelskonferenz in Leipzig, dass die Hütte es fast nicht schaffe, was bestellt würde. Im gleichen Jahr wurde Glas im Wert von 21500 Talern erzeugt.

Glas aus Glücksburg ertrag z.B. der Saalfelder Glashändler Johann Peter Korn 1744 auf der Leipziger Messe im Gasthof „Zum roten Ochsen“ auf dem Brühl. Um 1750 wurden „vorzüglich Flaschen und Fensterscheiben“ produziert.

Holz in Glücksburg zu verbrennen, war auch nach der Jahrhundertmitte noch immer preiswerter als Steinkohle, die wegen des Transports auf der Elbe zu teuer war.“

(Haase, Gisela: Sächsisches Glas. Leipzig 1988, 284.).

Weingläser mit geschnittener Zeichnung, Korbbecher, Karaffinen, Schalen, dünne Flöden, kleine Gesundheitsgläser, auch Rahmen, Wandleuchter und Scheiben wurden in der Glashütte produziert. Zwischen 1739 und 1743 lieferte der Betrieb einen Überschuss von 3633 Talern an die Rentkammer ab.

Glücksburg sollte bei der Gründung für den Dresdener Hof, aber auch „publico“, also für den weniger vermögenden Teil der Bevölkerung, produzieren: den Kleinadel, das Bürgertum und für die Handwerker, sowie auch stark für den Export.

So arbeitete die Glashütte neben anderen sächsischen Hütten in Dresden, Jugel (bis 1726), Steindibra (bis 1727), Trützschler (bis 1735), Rauscha (ab 1706), Baruth (1b 1716), Heidelbach, Weiter vor allem für „Gebrauchsglas“. (Haase, Gisela aaO 150).

„Diese Zielsetzung in der Produktion hatte vermutlich Glücksburg ein wesentlich längeres Bestehen als die Luxusglashütte in Dresden beschert. In der (Moritzburger) Ausstellung steht ein schönes, wohl aus Glücksburg stammendes Glas, auf dem sich eine Parforcegesellschaft mit Reitern, Jägern, Hunden und verschiedenem Getier auf einem baumbestandenen Weg spiralig auf der Kuppa nach oben bewegt. Mit dieser Komposition wird nicht nur die konische Erweiterung der Kuppa betont, sondern – wohl völlig ungewollt – auf eine künstlerische Anordnung zurückgegriffen, die schon am Ende des 16. Jahrhunderts einmal für die Übersichtlichkeit und zum andern für die spannende Steigerung eines sehr lebendigen Jagdgeschehens gern benutzt worden ist.“ (Hasse, Gisela: Jagddarstellungen auf Glasgefäßen, in: Vom Jagen, aaO 82.). Sie erwähnt an anderer Stelle, dass die Veredelung der Gläser auch in Dresden oder im Ausland, so in Kopenhagen, erfolgt sei (Haase, Gisela: Sächsisches Glas, Leipzig 11988, 151. Darin sind auch sehr schöne Darstellungen über Gläser aus Glücksburg!).

 

Die häufig grünlich, gelblich oder violett schimmernde Glücksburger Glasmasse ist blasig und dick. Kennzeichnend für die Pokalformen sind ein flacher oder leicht gewölbter Fuß mit umgeschlagenem Rand, ein kräftiger ein- oder mehrteiliger Balusterschaft und eine konische Kuppa mit dem meist ausgebauten Ansatz. De gewölbte Deckel wird von einem relativ großen Knauf bekrönt.“ (Haase, Gisela: Sächisches Glas, Leipzig 1988, 151.).

 

„Die Anfangsjahre im Bestehen der Glashütte waren von wirtschaftlichen Problemen geprägt. Durch das Monopol des Dresdner Hofes auf ihre Erzeugnisse war die Glashütte völlig abhängig. Gesuche um Zuschüsse und Arbeitsverweigerungen wegen schleppender Lohnzahlungen zeichnen ein Bild wirtschaftlichen Mangels, zumal sich die lokalen Forstbehörden gegen die Lieferung der großen benötigten Holzmengen sträubten (32). Trotzdem gelangte die Glücksburger Glashütte bald zu Ansehen, sie lieferte eine „beträchtliche Menge Bouteillen und Fensterscheiben von vorzüglicher Güte“ (3, S. 11).“ (Elstermann aaO 16f; 32 =Illing, Gerhard aaO; 3 = Leonhardt, M.F.G.: Der Kreis Schweinitz im alten Kurkreis. Heimatbote Nr. 3/1928.).

 

In den Akten in Dresden und Weimar kann man lesen, dass August der Starke immer mehr Tafel- und Hohlglas für die königliche Tafel und vor allem Geld herauspresste, was schließlich dazu führte, dass die Gebrüder Frehmel, um fortbestehen zu können, königliches Tafelglas unter der Hand verkauften. Das kam heraus, sie wurden eingesperrt; es gibt Bittbriefe der Frau an den Kurfürsten.

Der Zweite Schlesische Krieg 1744/45 nahm Sachsen sehr in Mitleidenschaft, das wird sich auch negativ auf die Glashütte ausgewirkt haben (Haase, Gisela: Sächsisches Glas. Leipzig 1988, 150.).

„Im Jahre 1751 ist sie wegen ihres hohen Holzbedarfs eingegangen (III). Eine Waldverwüstung, wie sie in vielen anderen Gegenden durch Glashütten verursacht worden ist, scheint hier ausgeblieben zu sein.

Nach der Bestockungsbeschreibung von 1779 überwogen sowohl bei den Eichen als auch bei den Kiefern die jungen und mittleren Altersklassen; insbesondere das Kiefernaltholz war stark benutzt worden (18). Daraus kann man auf frühere Holznutzungen von beträchtlichem Umfang schließen, die sicherlich wesentlich durch die Glashütte verursacht worden sind. Man war damals aber in der Lage, diese Flächen neu zu begründen.

Die Gebäude der Glashütte sind 1756 unter dem Einfluss des Siebenjährigen Krieges zerstört worden. Die Glashütte befand sich unweit des Schlosses, noch heute sind im Nordosten der Abteilung 5115 Mulden sichtbar. Dort finden sich bereits dicht unter der Humusschicht zahlreiche Glasabfälle. Auf dem später an Stelle des Schlosses entstandenen Forsthof soll noch bis 1835 ein sogenanntes „Glasmacherhäuschen“ gestanden haben (III). Der mündlichen Überlieferung nach hat der tiefe Graben links der Straße in Richtung Oehna der Quarzsandentnahme gedient.“ (Elstermann aaO 16f; III = Taxations-Revisions-Werk der Oberförsterei Glücksburg-Seyda geführt vom 1. October 1863 ab;  18 = Grundlagensammlung der Oberförsterei Glücksburg des StFB Jessen (unveröffentlicht), 1966.).

In den Papieren zur Glücksburg auf Schloss Moritzburg heißt es: „Von dieser Zeit an (Siebenjähriger Krieg 1756-63) konnten bisher keine weiteren Aufzeichnungn entdeckt werden, die Glücksburg betreffend. 1880 wurde in Glücksburg eine Löffelfabrik eingerichtet. Über die Dauer des Bestehens ist nichts bekannt. Bei neueren Restaurierungsarbeiten (Anfang 1900) wurde lediglich eine Ringmauer entdeckt, die Reste des ehemaligen Schlossturmes sein könnten. (Quelle: Akten des Staatsarchivs Weimar, eingesehen von August Freidank/Mügeln, 4.6.1913; „Nachrichtenblatt der Landelektrizität G.m.b.H. Überlandwerk Liebenwerda“).“ Vgl. zur Lage der Sandentnahme das vorangegangen Kapitel, zum Dreißigjährigen Krieg.

 

Eine Pechhütte bestand um 1700 in der heutigen Abteilung 5113, also bereits in der Lindaer Heide. „Durch Verschwelen von Kiefernstöcken in speziellen Öfen gewann man Teer, lange Zeit ein wichtiges Produkt. So hatten bis 1850 die meisten Wagen hölzerne Achsen, die sich schnell heiß liefen. Sie mussten ständig geschmiert werden, wozu man den Teer verwendete. Weitere Produkte waren das Pech zu Dichtungszwecken, das Kienöl zur Beleuchtung sowie Terpentin und Holzkohle (10). Nach einem Zeitpachtvertrag von 1833 erfolgte die Rodung der Kiefernstöcke auf jährlich wechselnden, angewiesenen Distrikten (I). Die Rodung erfolgte nach „Bränden“, also nach dem Fassungsvermögen der Öfen. Zu dieser Zeit standen in der Mügelner Pechhütte 2 Öfen, die 13,5 bzw. 7,75 Klafter fassten. Im Etat der Oberförsterei Seyda für den Zeitraum von 1838 bis 1841 waren jährlich 300 Klafter Kiefernstöcke geplant (I), das sind gerundet 371 qm (24). Es zeigt sich also, dass der Jahresbedarf der Mügelner Pechhütte zu jener Zeit nicht allein aus der Seydaer Heide gedeckt werden konnte.“

Die Hütte wurde von der Familie Schlobach betrieben, bis 1867. 1873 wurde sie an den Forst verkauft. An dieser Stelle wurde die Försterei Linda eingerichtet, an einem noch heute malerischen Ort, der von den Jägern „bei Ziemann“ genannt wird. Förster Ziemann war der letzte Förster dort, 1945 beim Einmarsch der Russen wurde er mit seiner Familie umgebracht, das Forsthaus niedergebrannt. (Elstermann aaO 18f und Ergänzung im November 2006.).

 

5. Das Verschwinden der Eichen

Im 18. Jahrhundert muss es einen großen Raubbau an Eichen gegeben haben, denn noch 1779 beschreibt die Oberforstmeisterei Annaburg einen großen Eichenbestand, der aber zu Beginn des 19. Jahrhunderts verschwunden war: „Die im Amt Seyda situirte Seydaische Heyde und hierzu gehörige Holzungen enthalten an Eichen eine ziemliche Anzahl, jedoch wenig starke, desto mehr aber mittlere und junge, welche insgesamt von besserer Güte und Beschaffenheit als die auf Annaburger und Schweinitzer Heyden, und also hoffentlich zu dem vorgeschlagenen Behufe mehr als jene zu benutzen sind, obschon sich hier und da auch einige trockene allda befinden.“ (Elstermann aaO 19,  er benutzt die “Grundlagensammlung der Oberförsterei Glücksburg des StFB Jessen (unveröffentlicht) III 16 a.).

 

Das Verschwinden der Eichen wirkte sich stark auf einen großen Windbruch 1817 aus. Nur alte Eichen waren stehen gelassen worden.

Steffen Elstermann erklärt dies so: „Bekanntlich wurde Sachsen im Siebenjährigen Krieg besonders stark geplündert, die durch Preußen auferlegten Kriegslasten verursachten einen enormen Geldmangel. In diesem Zusammenhang ist vermutlich auch die Abholzung der vielen Eichen zu sehen, denn die in der obigen Beschreibung erwähnte Benutzung lag in der Verwertung als Schiffsbauholz und anderer Nutzhölzer. Scheinbar ist man den gemachten Vorschlägen mit ziemlicher Radikalität gefolgt. Auch die Schonung der alten Eichen ist zu erklären. Im Jahre 1873 schätzte man ihr Alter auf 150 bis 200 Jahre. Diese Eichen entstammten also etwa aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, vermutlich sind sie als sperrige, breitkronige Masteichen genutzt worden. Damit waren sie aber für die vorgeschlagenen Zwecke kaum brauchbar.“ -

„Nach der Plünderung der Eichenbestände ist diese Baumart nie wieder als bestandsbildend in Erscheinung getreten. Doch dieser Raubbau ist nicht als Ursache für das Verschwinden der Eichen anzusehen, er war allenfalls der Auslöser.“ (Elstermann aaO 19f.).

 

Neben der Plünderung waren Streunutzung und Weidehaltung Gründe für das Verschwinden der Eichen.

„Die Streunutzung ist  im wesentlichen erst nach dem Dreißigjährigen Krieg aufgekommen, um den damaligen Mangel an Dünger und Einstreu ausgleichen zu können. Allgemein verbreitet hat sie sich erst ab etwa 1750. Steigende Viehzahl und der allmähliche Übergang zur Stallfütterung ließen den Bedarf an Einstreu weiter ansteigen. Dieser Bedarf war bei der geringen Produktivität der Landwirtschaft nur durch Nutzung der Waldstreu zu decken. Auch in der Oberförsterei Seyda, die nach Übernahme der gesamten Region durch Preußen in Anlehnung an die letzte sächsische Forstorganisation entstanden war, existierten umfangreiche Streuberechtigungen. Im Jahre 1837 waren 24 Berechtigte vorhanden (Anlage 7). Schon in sächsischer Zeit war versucht worden, diese Berechtigungen einzuschränken. Nach einem Reskript von 1811 mussten nun bei der Forstkasse Zettel gelöst werden, die Streu war also zu bezahlen. Bis dahin hatten die Streunutzer lediglich sogenannte „Neujahrsgeschenke“ an die Forstbediensteten zu entrichten (I). Durch diese Regelung hatte man die Berechtigungen faktisch ausgehöhlt. Der Streubedarf blieb natürlich trotzdem bestehen. Die Gemeinden wehrten sich mit aller Kraft, wenn in irgendeiner Form die Streunutzung eingeschränkt werden sollte. So hatte man nach dem erneuten Windbruch von 1833 versucht, diejenigen Gemeinden von der Streunutzung abzuhalten, die am ehesten ohne Streu bestehen könnten. Doch auch diese Gemeinden hätten sofort bei „höheren Behörden“ um ihre Rechte gekämpft (I). Und in anderen Revieren sei es den dortigen Berechtigten gelungen, die Streunutzung für Bezahlung in Höhe der früheren „Neujahrsgeschenke“ zu erstreiten (I). Die 1811 eingeführten Sätze für die Streuzettel blieben auch in preußischer Zeit bestehen, sie wurden lediglich 1830 erhöht (Anlage 7).“ (Elstermann, aao 20.).

 

Zur Streunutzung in der ehemaligen Oberförsterei Seyda waren berechtigt: Bochow, Dennewitz, Elster, Gadegast, Gentha, Gölsdorf, Jessen, Lüttchenseyda, Mellnitz, Meltendorf, Morxdorf, Mügeln, Naundorf, Niedergörsdorf, Oehna, Rehain, Rohrbeck, Ruhlsdorf, Schadewalde, Seehausen, Seyda, Weinbergbesitzer von Arnsdorf, Jessen und Schweinitz, Zahna, Zemnick. Die Streusätze waren festgelegt, nach der Streunebennutzungstaxe von 1830 betrugen sie für Seyda, Mellnitz und Morxdorf: für einen Wagen 13 Silbergroschen, für einen Schiebebock (Schubkarre) 6 Silbergroschen. (Elstermann aaO, Anlage 7; III = Taxations-Revisions-Werk der Oberförsterei Glücksburg Seyda, geführt vom 1. October 1853 ab. 25, Nr. 19 = Gerhardt, Hermann: Seyda einst und jetzt, Heimatbote Nr. 19/1927.).

 

Der Umfang der Streuentnahme war beträchtlich. Im Etat der Oberförsterei Seyda für den Zeitraum von 1838 bis 1841 waren jährliche Einnahmen aus der „Waldmiethe“ in Höhe von 443 Talern geplant (I). Zur „Waldmiethe“ zählten Einnahmen aus der Streunutzung und für Leseholz. Die Einnahmen für das Leseholz sind leider nicht aufgeschlüsselt worden, allerdings stand diese Berechtigung 1837 nur den Gemeinden Mellnitz, Morxdorf und Seyda zu. Diese Orte spielen überhaupt eine Sonderrolle, wie sich auch in den wegen ihrer „Armut“ eingeräumten niedrigen Streusätzen zeigt (Anlage 7). Bei der „Königlichen Regierung“ beanspruchten allerdings auch die Gemeinden Gölsdorf, Kurzlipsdorf, Naundorf und Seehausen verschiedene Berechtigungen, darunter auch auf Leseholz. Darüber war 1837 noch nicht entschieden.

 

Die Einnahmen aus der Streunutzung sind so nicht genau ermittelbar, trotzdem soll an dieser Stelle eine kleine Rechnung zur Verdeutlichung des Problems angestellt werden. Nimmt man nur 200 Taler jährliche Einnahmen an und teilt sie durch den Preis für einen zweispännigen Wagen von 1 Taler und 2 Silbergroschen (Anlage 7), so erhält man die beachtliche Anzahl von rund 187 solcher Fuhrwerke (1 Taler hatte 30 Silbergroschen). Die Verwendung dieses Satzes erscheint durchaus legitim, da die höheren Sätze für Gentha und Ruhlsdorf durch die niedrigeren Sätze für Mellnitz, Morxdorf und Seyda mehr als ausgeglichen werden; außerdem gilt der angenommene Satz ohnehin für die überwiegende Zahl der Berechtigten. Als Maß für die Ladung eines zweispännigen Wagens galt in Sachsen das Fuder, welches umgerechnet einem Volumen von 10,4 Kubikmeter entspricht. Aus dieser sehr vorsichtigen Rechnung ergibt sich eine jährlich entnommene Streumenge von etwa 1950 Kubikmetern!

 

Die damalige Oberförsterei umfasste nicht mehr die gesamte Seydaer Heide. Deren östlicher Teil wurde während der preußischen Neuorganisation des Forstwesens der Oberförsterei Glücksburg zugeteilt (X). Das Gebiet hatte eine Fläche von 1725 Morgen (ca. 440 ha). Somit verblieb der Oberförsterei Seyda der Hauptteil der Seydaer Heide, der 12961 Morgen (ca. 3305 ha) zur Holzzucht nutzbare Fläche umfasste. Diese Fläche war jahrzehntelang einem oben angedeuteten Streuentzug ausgesetzt. Dieser erfolgte vor 1811 vermutlich noch uneingeschränkter und unkontrollierter als in späterer Zeit. Dabei kommt hinzu, dass der damals noch etwa 460 ha umfassende Erlenbruch bis Anfang des 19. Jahrhunderts nur schwer passierbar war und damit kaum zur Streunutzung genutzt werden konnte; die Belastung konzentrierte sich dadurch aber noch mehr auf die Hochwaldbestände.

(Elstermann aaO, X = Aus dem Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt Magdeburg, Nachweisung über die allerhöchst genehm. Organisation in dem Forst-Inspectionsbezirke Annaburg, District 2 Glücksburg, Repl. 65 Glücksburg.).

 

Die Streunutzung gehörte fest zu den bäuerlichen Tätigkeiten und war aus der Wirtschaft kaum wegzudenken. In Seyda war es beispielsweise üblich, an zwei bestimmten Tagen in der Woche Streu zu holen (25). Die damaligen Verhältnisse in der Landwirtschaft ließen ein Verbot der Streunutzung noch nicht zu, obwohl die Forstleute jener Zeit schon die Schädlichkeit dieser Nutzung erkannt hatten. So wird 1837 vermerkt, der Boden in den Unterforsten Glücksburg und Seyda sei „in Folge der früheren Streuerholung aus allen jungen Beständen, von Damm Erde fast ganz entblößt, woher es denn kommt, dass derselbe, ..., größtentheils nur als mittelmäßiger und zum Theil als sehr mittelmäßiger und schlechter Kiefernboden hat angesprochen werden können... (I, Kapitel 1)“. Die überall noch eingesprengten alten Eichen zeugten aber von der früheren Kraft der Vegetation (I).

Die dem heutigen Forstwesen hinreichend bekannten negativen Folgen der Waldstreunutzung haben auch in der Seydaer Heide entscheidend zur Verdrängung der Laubhölzer beigetragen. Die Böden, die bisher wüchsige Mischbestände ernähren konnten, sind durch den anhaltenden Nährstoffentzug zu kargen Kiefernböden verkommen. Dabei war 1873 noch kein Ende der Streunutzung abzusehen, ja der Streubedarf stieg sogar noch an (I). So ist die Streunutzung wohl als Hauptgrund für die Verdrängung der Eichen aus der Seydaer Heide anzusehen.“ (Elstermann aaO 21-23; 25 = Gerhardt, Hermann: Seyda einst und jetzt. Heimatbote 1927; I = Aus dem Archiv des Forstamtes Annaburg: Abschätzung und Einrichtung der Oberförsterei Seyda im Regierungs-Bezirk Merseburg 1837.).

 

Bis nach dem Zweiten Weltkrieg gab es diese Art der Streunutzung. Damals hatten insbesondere die „Umsiedler“, die durch den Krieg ihre Heimat verloren hatten und hier neu anfingen, kaum genug Stroh für die Tierhaltung.

An manchen Beständen kann man es heute noch sehen: Die jüngeren Kiefernbestände sind zum Teil größer als die älteren, denen die Nährstoffe entzogen wurden.

 

6. Die Waldweide

Noch heute sind bisweilen Kühe auf den Wiesen am Rande der Heide zu sehen. Früher jedoch wurde die Heide dafür sehr viel stärker genutzt.

Die Hütejungen zogen früh durch die Dörfer und bliesen in ihr Horn, die Bauern öffneten ihre Tore und trieben die Schweine heraus, die dann in der Heide eine (sehr gesunde) Ernährung fanden. Die Jungen passten auf, dass sie nicht verloren gingen, und brachten sie abends wieder nach Hause.

Im Wald wurde darauf geachtet, genug „Masteichen“ stehen zu lassen, also Eichen, die man nicht für die Holzgewinnung vorsah, sondern die möglichst viele Früchte bringen sollten: mit einer freistehenden großen Krone, damit sie genug Sonne zum Blühen bekam, möglichst einzeln stehend. Diese Eicheln waren vor allem für die Hausschweine bestimmt, die man in die Heide brachte (das war einfacher, als die Eicheln in den Stall zu bringen); das alles in Zeiten, in der die Landwirtschaft noch nicht so stark war, um ausreichend Futter für die Tierhaltung zu produzieren.

(Vgl. Brachwitz, Geschichtliche Bilder, Jessen 1928,  102.).

 

Die Vieh- und Hutungsordnung für Seyda von 1787 legt die jedem Einwohner zu halten erlaubte Anzahl Vieh fest:

Ein „Großerbe“ durfte 6 Stück Anspannvieh (Pferde oder Ochsen), 4 Kühe, 4 Stück Gelte-Vieh, 4 Schweine (mit Zuchtsau), 3 Zuchtgänse, 1 Gentzsch halten.

Ein „Einspänner“: 4 Stück Anspannvieh, 3 Kühe, 2 Stück Gelte-Vieh, 3 Schweine mit Zuchtsau, 2 Zuchtgänse, 1 Gentzsch.

Ein „Kleinerbe“: 1 Kuh, 1 Stück Jungvieh zur Aufzucht, 2 Schweine, 1 Zuchtgans.

Ein „Hausgenosse“: 1 Schwein.

(Elstermann aaO, Anlage 3, nach: Brachwitz, Oskar: Geschichtliche Bilder vom Südfläming und aus der Elbe-Elster-Gegend. Jessen 1928.).

„Die Viehzahl war somit direkt an die Bevölkerungsentwicklung gebunden.“  Von 300 Einwohnern im Jahr 1697 stieg die Bevölkerung auf 800 im Jahre 1806, 1000 im Jahre 1825, 1700 im Jahre 1840 und 1510 im Jahre 1850 an.

„Das Vieh wurde nicht nur im Wald gehütet. Aber nach der Hutungsordnung mussten die Wiesen vom 11. Mai bis zur Heueinbringung völlig geschont werden; die Felder konnten als Futterquelle ohnehin nur zur Brache genutzt werden. Somit bildete der Wald zwangsläufig eine wesentliche Weidegrundlage.

Im Jahre 1837 waren in der Oberförsterei Seyda 7 Gemeinden und 1 Rittergut zur Waldweide berechtigt. Die Hutungsreviere beanspruchten dabei etwa 80% der Waldfläche!“

Die Hutungsberechtigungen: Stadtkommune Seyda für Rinder, Pferde, Schweine und Gänse in unbestimmter Zahl; Gemeinde Gentha: Rinder und Pferde; Rittergut Gentha: Rinder und Pferde, bis Johannis (24.6.) auch Schafe; Gemeinde Lüttchenseyda: Rinder und Pferde in unbestimmter Zahl; Gemeinden Morxdorf und Mellnitz: Pferde bis zur Erntezeit; Gemeinde Mügeln: Rinder und Schafe in unbestimmter Größe; Gemeinde Oehna: Pferde in unbestimmter Zahl.

Das Hutungsrevier Seyda (mit Mellnitz, Morxdorf und teilweise Lüttchenseyda) hatte eine Größe von ca. 1660 ha, im Teil nördlich des Seydaer Bruches war die Hutung auf Rinder beschränkt; Gentha mit dem Rittergut 133 ha, Mügeln 504 ha, Oehna 356 ha.

Allein eine „Wildbahn“ von 652 ha war hutungsfrei.

(Elstermann aaO, Anlage 4.).

Um die Hutungsflächen hat es immer wieder Streit gegeben, so 1718 zwischen Seyda und Lüttchenseyda (27).

(Elstermann aaO, 27 = Brachwitz, Oskar: Streit zwischen Seyda und Lüttchenseyda wegen der Hutung auf der Brandspitze. Heimatbote Nr. 3, 1941.).

 Noch 1873 stritten sich Seyda und Mellnitz um die Grenze des Mellnitzer Hutungsrevieres; beide Seiten gaben als Grenze zwei Jagdflügel an. Da sie jedoch unterschiedliche Flügel meinten, entstand eine Differenz von etwa 25 ha.

Die 1830 verkaufte Domäne Seyda hatte bis dahin ebenfalls ein Hutungsrecht mit Rindern und Schafen (I). Diese Hutung wurde gemeinsam mit der Stadt Seyda ausgeübt, es bestanden jedoch getrennte Herden.

(Elstermann aaO, verwendet aus dem Archiv des Forstamtes Annaburg: Abschätzung und Einrichtung der Oberförsterei Seyda im Regierungs-Bezirk Merseburg 1837.).

 

Gerade Schafe können große Schäden an den jungen Hölzern anrichten (16). Bis 1838 war es nicht gelungen, eine zahlenmäßige Erfassung der in der Heide gehüteten Nutztiere durchzuführen. Doch die Klagen, das Weidevieh beschädige die Wurzeln und lasse keine Verjüngung aufkommen, machen eine hohe Belastung deutlich. Zum Schutz der Jungwüchse wurden diese in Schonung gelegt, während dieser Zeit durfte keine Beweidung erfolgen. Diese Maßnahme betraf 1837 eine Fläche von 2900 Morgen (ca. 740 ha), dabei betrug die Schonungsdauer bei den Kiefern 20 Jahre und bei den Erlen 10 Jahre. Die zehnjährige Schonzeit der Erlen wurde als unzureichend erachtet, überhaupt beziehen sich die Klagen über das Weidevieh nur auf die Verhältnisse im Erlenbruch. Dagegen erachtete man eine teilweise Freigabe der „hutungsfreien Wildbahn“ als möglich, falls es wegen der vielen in Schonung liegenden Kiefernjungwüchse zu Klagen der Berechtigten kommen sollte. Die Erklärung dafür liegt einfach in der Tatsache, dass zu diesem Zeitpunkt die Eichen bereits der Vergangenheit angehörten und die Forstleute für die künftige Bestockung nur noch die Kiefer vorsahen. Als die Eichen noch vorhanden waren, haben sie sicher ebenso unter den Verbiss- und Trittschäden gelitten wie die Erlen. Falls sich nach dem Aushieb der meisten Eichen überhaupt Naturverjüngung gezeigt hat, so ist sie wohl bald Opfer der Weidetiere und des Wildes geworden. Dessen Bestand war noch Anfang des (19.) Jahrhunderts bedeutend. Eine umfassende Kontrolle über die Einhaltung der Hutungsreviere war kaum möglich; schon gar nicht im Kriegsjahr 1813, als die Bauern ihr Vieh in der Seydaer Heide versteckten (17). Auch die Beendigung der Waldweide war 1837 noch nicht in Sicht, es kamen sogar noch Berechtigte hinzu. Die im Etat für 1838 bis 1841 geplanten Einkünfte aus der Waldweide betrugen jährlich 22 Silbergroschen und 2 Pfennige (I), ein wahrhaft symbolischer Preis!“ (Elstermann aaO 23; 17 = Brachwitz, Oskar: Geschichtliche Bilder aaO.).

 

 

 

 

Die Amtswaldungen waren heruntergekommen, aufgelichtet und glichen oftmals locker bestockten Viehweiden. Auch die Seydaer Heide bot um 1800 ein ähnliches Bild. Nach dem radikalen Aushieb der Eichen ist diese Baumart nie wieder in Bestand gebracht worden.“ (Elstermann aaO 25.).

Junge Eichen konnten nicht nachwachsen, wegen der intensiven Beweidung. „Eine großflächige Anpflanzung der Eichen war allein schon aus Mangel an Jungpflanzen unmöglich. Die großen lückigen Flächen wurden nun natürlich verjüngt, wobei sich die Kiefer unter den gegebenen Umständen als einzige Baumart durchsetzen konnte.

Die Windbrüche von 1817 und 1833 (ca. 40300 Kubikmeter Schadholz!) sowie ein Raupenfraß von 1810/11 führten zu großen Kahlhieben (I). „Zur Aufforstung aller dieser Flächen war einzig die Kiefer geeignet. Die Eiche aber gehörte seit dieser Zeit der Vergangenheit an.“

Die Flächenanteile der Baumarten 1837 in der Oberförsterei Seyda sprechen eine deutliche Sprache:: Kiefer 83,5%, Erle 8,1%, Birke 0,3%, Laubholz/Niederholz gemischt 1%, Räumden 2,8%, Blößen 4,3%.  (Elstermann aaO 26.).

Die Waldweide wurde in so großem Umfange wurde erst mit den „Ablösungen“ und Separationen um 1860 eingestellt.

So bekam beispielsweise die Gemeinde Oehna 1863 als Ablösung für ihre Hutungsberechtigung 800 Taler. Der Superintendent  in Seyda erhielt 1867 als Ablösung 100 Taler Rente, der Kantor in Seyda 26 Taler; der 3. Schullehrer in Seyda 9 Taler Rente. Es gab auch Land als Ersatz.

Streuberechtigungen bestanden im November 1862 schon nicht mehr. Die Ablösung war eine große Tat des preußischen Staates, ein „Aufatmen“ für den Wald!

(Elstermann aaO Anlage 8.).

 

 

7. Der Raubmord

 

Spannend hat Hermann Gülicher aus Zahna 1920 beschrieben, was sich damals zugetragen haben soll. Seine Erzählung soll hier ihren Platz haben:

„Der Raubmord in der Seydaer Heide. - Eine wahre Begebenheit.

Ein eisiger Schneesturm tobte. Die Schneeflocken fielen dicht zur Erde nieder. Obgleich am Morgen schöner heller Sonnenschein war, so hatte sich das Wetter nachmittags ins Gegenteil verändert, als ein Greis mit weißen Haaren gegen Abend in einem Gasthof in Seyda einkehrte. Das schöne Wetter am Morgen hatte ihn dazu verlockt eine Reise zu unternehmen, die er innerhalb acht Tagen antreten musste. Er selbst, ein alter Invalide aus dem siebenjährigen Kriege, in dem er in mancher Schlacht unter den Fahnen Friedrichs des Großen mitgekämpft hatte, war einst in der Schlacht bei Prag verwundet worden. Sein Weib ruhte bereits seit Jahren unter dem grünen Rasen. Nachkommen hatte er nicht. Zu wiederholten Malen hatte er bei den Militärbehörden um eine Unterstützung auf Grund seiner im Feldzuge erhaltenen Verwundung angehalten, auch zugleich auf seine Bedürftigkeit hingewiesen. Jedoch ohne Erfolg. Groß war nun seine Freude, als er den Bescheid erhielt, dass ihm nach langen Jahren eine einmalige Unterstützung von 250 Thalern zuerkannt wäre und er diese persönlich gegen Ausweis seiner Militärpapiere auf dem Landratsamt in Wittenberg in Empfang nehmen könne. Dieses müsste aber noch vor dem Weihnachtsfeste geschehen, was bereits in acht Tagen fällig war.

Die Dämmerung war bereits eingetreten, als er in Seyda eintraf. Den Abend über hatte sich in dem Gasthof, in den er eingekehrt war, weiter kein Gast eingefunden als ein in der Nähe wohnender Schmied. Freudig erzählte er diesem und auch zugleich dem Gastwirt den Grund seiner Reise, betonte auch noch, dass er, wenn es sich tun ließe, morgen Abend wieder hier einkehren würde.

Des nächsten Tages, am Abend, war er dann auch wieder zur Stelle. Auch an diesem Abend war der Schmied wieder anwesend, und fragte den Alten, ob er das Geld erhalten hätte, was dieser vertrauensvoll bejahte. Am andern Morgen trat er die Heimreise wieder durch die Heide an. Kaum war er eine Stunde einsam dahin gewandert, als ihm ein donnerndes Halt! zugerufen wurde. Aber zugleich sauste auch ein schwerer Schmiedehammer auf seinen Kopf nieder, weitere Schläge folgten, und entseelt sank der Greis zur Erde nieder! Dann raubte sein Mörder ihm alle Taschen aus, zuerst das viele Geld, nahm aber auch sämtliche Papiere an sich, die zu einem Ausweis seines Opfers führen konnten, schleifte den Leichnam dann zu einem in der Nähe befindlichen Reisighaufen und bedeckte ihn mit diesem, so dass nichts von ihm zu sehen war.

Der Winter war vergangen; es ist wieder Frühling. Der Schäfer vom Rittergut Gentha hütet am Rande der Seydaer Heide seine Herde. Bald wurde er durch das eigentümliche Benehmen seines alten Hundes aufmerksam. Dieser streckte die Nase in die Höhe und lief dann schnell in den Wald hinein. Bald hörte er, dass dieser kläglich heulte. Gleich darauf kam derselbe zurückgesprungen, und stellte sich laut bellend vor dem Schäfer hin, als wollte er sagen: komm mit, ich habe was gefunden! Dieses war schon einmal der Fall gewesen, als er einmal ein Stück erlegtes Hochwild gefunden hatte. Nun glaubte der Schäfer, dass dieses wieder der Fall wäre, und folgte seinem Hunde, welcher laut bellend vor ihm hersprang. In einiger Entfernung erblickte er nun einen Reisighaufen, vor welchem der Hund stehen blieb, erst die Nase darunter hielt, dann diese in die Höhe streckte und wieder ein klägliches Geheul anstimmte. Als der Hirte in die Nähe des Haufens kam, wurde er starken Leichengeruch gewahr. Er warf schnell die Zacken auseinander und erblickte dann einen alten Mann mit weißen Haaren, die aber größtenteils mit Blut durchtränkt waren. Der Schädel war zertrümmert, auch das Gesicht war mit Blut übergossen. Entsetzt über den grausigen Fund ging er mit seinem Hunde zur Herde zurück, denn es war ihm klar, dass der Alte das Opfer eines Mörders geworden war. Als das Mittagessen ihm von seinem Sohn gebracht wurde, setzte er diesen von seinem Erlebnis in Kenntnis. Die Neugierde trieb diesen auch hin; aber dann eilte er, so schnell er konnte, dem Gutshofe zu und meldete es dem Amtmann von Gentha. Dieser ließ sofort sein Reitpferd satteln und sprengte hinaus zu dem Schäfer, und ging mit diesem zur Mordstelle. Als er den Leichnam eingehend besichtigt hatte, ritt er sofort nach Seyda und meldete die Tat bei dem damals in Seyda befindlichen Amtsgericht an, desgleichen bei dem Magistrat. Bald darauf gingen die Gerichtsbeamten sowie der Magistrat und Stadtverordnetenkollegium, zu denen auch der Gastwirt und jener Schmied gehörten, nach der Heide hinaus, geführt von dem Genthaer Amtmann. Als nun der Gastwirt den Leichnam erblickte, rief er sofort entsetzt aus: „Das ist ja der alte Invalide, der kurz vor Weihnachten zweimal bei mir übernachtet hat!“ Dann trat er aber gleich an den Schmied heran und rief mit bebender Stimme, indem er sich vor die Brust schlug: Mensch! entweder ich oder du, einer von uns beiden hat den alten Mann totgeschlagen, keiner weiter als wir beide wussten es, dass er so viel Geld bei sich hatte. Du hast am andern Morgen aufgepasst, wie der von uns abreiste, und bist dann hintenrum über die Wiesen ihm nachgelaufen!

Obgleich das Kainszeichen des schuldbeladenen Gewissens sich in dem Gesicht des Schmiedes abspiegelte über die so unerwartete Herausforderung, so hatte er dennoch die Frechheit, dem Gastwirt Beleidigungen ins Gesicht zu werfen, dass dieser den Mord begangen hätte während der Nacht, wo der Alte wieder auf der Rückreise war. Darüber geriet der Gastwirt so in Wut, dass er sich gleich auf den Verleumder stürzen wollte. Aber dieser kam ihm zuvor und lief so schnell er konnte davon. Gleich an Ort und Stelle wurde nun über die Sache beraten und der Beschluss gefasst, den Schmied zu verhaften. Als aber die Polizeibeamten in dessen Behausung kamen, war dieser nicht mehr zu finden, er hatte den Vorsprung zur Flucht benutzt. Ausgesandte Boten konnten nichts über ihn ermitteln, Eisenbahnen, Telegraphen und Fernrufleitungen gab es damals noch nicht. Es war mithin sehr schwer, einen Verbrecher ausfindig zu machen und zu ergreifen. Eine ganze Anzahl von Jahren war bereits verflossen. Die Macht des großen Korsen Napoleon wurde in der großen Völkerschlacht bei Leipzig gebrochen. Auch die Sachsen, welche mit Napoleon gekämpft hatten, traten zu den verbündeten Preußen, Russen und Oesterreichern bei Leipzig über, und zogen mit allen diesen über den Rhein nach Elsass-Lothringen hinein. Ein sächsisches Dragoner-Regiment kam in Schlettstatt ins Quartier. Bei diesem dienten auch mehrere, die aus Seyda und den nahe liegenden Ortschaften stammten. Einer von denen musste sein Pferd neu beschlagen lassen. In der Schmiede traf er einen alten Schmiedegesellen an, in welchem er den Flüchtling aus Seyda zu erkennen glaubte. Vorsichtig ließ er sich mit diesem in ein Gespräch ein. Nach Beendigung desselben hatte er die volle Gewissheit, dass dieser Geselle der steckbrieflich gesuchte Schmied aus Seyda war. Er meldete die Sache ganz ausführlich seinem Vorgesetzten. Dieser wieder meldete es dem Rittmeister. Der Dragoner wurde dann noch einmal ganz ausführlich verhört. Die Folge davon war, dass der Schmiedegeselle ebenfalls verhört wurde. Nach anfänglichem Leugnen musste er eingestehen, dass er der Gesuchte sei. Darauf wurde er gleich festgenommen und von zwei Dragonern nach der Heimat zurücktransportiert.

In Seyda angelangt wurde dem Mörder der Prozess gemacht und zum Tode durch den Strang verurteilt. Am Tage seiner Hinrichtung wurde er von den Gehilfen des Scharfrichters aus Schweinitz als Zeichen des Abscheus auf einer Ochsenhaut über das Pflaster von Seyda geschleift. Vor seinem Hause angelangt wurde es ihm gestattet, sich zu erheben und noch einmal hinein zu gehen, um Abschied zu nehmen. Aber die Türen waren verschlossen, die Fenster dicht verhängt. Unversöhnt ist er von den Seinen geschieden. Als das Pflaster aufhörte, ließ man ihn aufstehen und den Weg bis zur Richtstätte zu Fuß zurücklegen. Nach der Hinrichtung hat sein Leichnam noch acht Tage zur Schau am Galgen gehangen. Dies ist die letzte Hinrichtung in Seyda gewesen.“

(Heimatgrüße 7/1920, Evangelisches Monatsblatt im Kirchenkreis Zahna. Wer noch genauere Einzelheiten wissen möchte, der erkundige sich in der „Geschichte der Kirche in Seyda, Band 3“, Seyda 2000.).

 

Doch ist so ein Raubmord in der Heide natürlich ein ganz besonderer Fall, viel mehr gab es den normalen Handelsverkehr, und auch manchen Samariterdienst. So wird von polnischen Juden berichtet, die regelmäßig durch unsere Orte kamen, um Sachen zu verkaufen, dass sie zu Napoleons Zeiten einen Soldaten, der aus Lüttchenseyda stammte und weit im Osten an den Beinen verwundet worden war, auf ihrem Wagen bis nach Hause brachten.

 

8. Sachsen, Franzosen, Preußen

Im Jahre 1806 siegte Napoleon bei Jena und Auerstedt, und die Landkarte Europas veränderte sich. Sachsen stand auf der Seite Napoleons, wurde dadurch zum Königreich. Im Jahr 1812 aber, vor Moskau, begann sich das Blatt zu wenden. In unserer Gegend fand die berühmte „Schlacht bei Dennewitz“ statt, am 6. September 1813; einen Tag vorher das „Treffen bei Gadegast“. Das waren die Vorentscheidungen zur großen Völkerschlacht bei Leipzig. In Seyda waren im September 1813 7000 französische Soldaten einquartiert; man mag sich vorstellen, was das für so ein kleines Städtchen bedeutete! Nahrungsmittel wurden knapp, und die Heide diente – wie oft in Kriegszeiten – als Versteck für Mensch und Vieh.

Bis heute wird erzählt, dass Napoleon auf seinem Rückzug zwischen Dahme und Seyda einen Schatz vergraben haben soll; besonders beim Bau neuer Häuser, beim Aushub der Baugrube, wird daran erinnert. Die Straße führt ja durch die Heide!

Es wurde auch bereits angedeutet, was die Anarchie in Kriegszeiten für den Wald bedeutete: Es gab keinen Schutz für die Baumbestände und das Wild, die Regelungen, die sonst für die Hutung und die Entnahme von Holz und Streu galten, waren außer Kraft gesetzt; die Heide war der Willkür der Menschen ausgesetzt; und bei Bränden waren aufgrund der fehlenden Ordnungsmächte Löscharbeiten erschwert oder unmöglich.

 

Die schon als „Schwedenschanze“ erwähnte Vertiefung westlich der Straße Oehna-Mügeln, 700 Meter nördlich vom Abzweig nach Glücksburg, wurde noch Mitte des 20. Jahrhunderts auch als „Franzosenloch“ bezeichnet; vielleicht hatten auch die Franzosen dort notdürftige Unterkünfte aufgestellt.

 

Beim Wiener Kongress 1814/15 musste Sachsen nun große Gebiete abtreten, darunter auch unsere Gegend, die einst kursächsisches Kernland war (die kirchliche Propstei heißt bis heute „Kurkreis“). Die preußische Provinz Sachsen entstand, dazu gehörte auch Seyda. Der älteste Baum weit und breit soll die Linde sein, die auf dem Kirchplatz vor dem Pfarrhaus steht: Es ist eine kaukasische Linde, die an die Waffenbrüderschaft von Russen und Preußen (den Siegern) gegen die Franzosen (und Sachsen) erinnert, mit ihren „schiefen“ Blättern.

 

Für die Heide bedeutete dieser Machtwechsel nach den Wirren der Kriegszeit den Einzug des preußischen Forstwesens. Es gab eine Einteilung in Jagen: auf der „Bestandskarte von der Oberförsterei Seyda, Forstinspection Annaburg, Regierungsbezirk Merseburg, gezeichnet im Herbste 1837“, sind sie zu sehen: also zunächst quadratische Felder, die wie ein Netz über die Heide gelegt sind, wenn ich recht sehe, 75 an der Zahl. Ein Jagen hatte damals 56 Hektar. Später wurden sie geteilt, bis heute bilden sie die Grundeinteilung der ehemals preußischen Wälder. Die Dahmsche Straße wurde dazu begradigt, ebenso der Rote Kreuz Weg: Sie bildeten die Ausgangspunkte für das „Netz“, was wie überall nach Nordosten ausgerichtet war, vielleicht wegen der Hauptwindrichtung.

„Man nennt diese Einteilung heute „Abteilung“. Für den Privatwald wurde ebenfalls eine forstliche Kartografie, Standortserkundung und Bestandsbeschreibung hervorgebracht, alles Grundvoraussetzungen für eine planmäßige, großflächige Forstwirtschaft. Heute unbezahlbar! Übrigens war man clever und hat die Abteilungen im Privatwald nicht nur stur rechteckig gelegt, sondern immer durch vorhandene Wege und Gegebenheiten abgegrenzt. Noch heute kann man also aus einer scheinbar nur aus merkwürdigen geometrischen Figuren, Linien und Zahlenkombinationen bestehenden Forstkarte noch recht gut Staatswald von Kleinprivatwald unterscheiden.“ (Elstermann, Anmerkungen).

 

Nun wurde also planmäßig dafür gesorgt, dass der Wald gepflegt und gehegt wurde: Nur ein genau festgelegter Teil durfte geschlagen werden, und es musste auch ebensoviel Jahr für Jahr aufgeforstet, verjüngt werden. Ein ausgewogenes Altersklassenverhältnis wurde angestrebt, um jedes Jahr etwa gleich viel Holz ernten zu können. So konnte der Wald kontinuierlich wachsen und einen regelmäßigen Ertrag bringen. Alte Leute berichten noch heute von diesem preußischen Forstwesen, das in unserer Heide bis in das Jahr 1936 hinein wirkte: Aller Holzbedarf der Sägewerke (zwei in Seyda, eins in Morxdorf, eins in Mügeln), der über diesen Hiebssatz hinaus ging, musste durch Zukäufe, zum Beispiel aus Polen, gedeckt werden.

Aber selbst die Sägewerke in Zahna bezogen ihr Holz zu 80% aus der Seydaer Heide (zu 20% aus dem Kropstädter Wald). Die leeren Pferdefuhrwerke fuhren den „Holzweg“, also jenen Weg vom Ortsausgang Gadegast Richtung Mellnitz östlich direkt in die Heide (heute auch noch „Panzerweg“ genannt), beladen fuhren sie dann die gepflasterte Straße durch Seyda zurück nach Zahna. Sie war mit groben Feldsteinen gepflastert, die „feinen“ Steine in der Jüterboger Straße kamen erst 1928 hinein.

 

Das Mügelner Sägewerk wurde von der Familie Bamm betrieben; in Seyda war von dem einen der Inhaber Götze; länger hat das andere bestanden, es wechselte von Schulze zu Zierold (1921 heiratete Architekt Zierold die Witwe Schulze) und zu Ohls (der später auch von 1934 bis 1945 das Bürgermeisteramt hatte). Zierold hatte wohl nicht so gut gewirtschaftet und musste an Ohls verkaufen. Die letzte Rate wurde kurz vor Kriegsende bezahlt! 1949 war dieses Sägewerk der erste Volkseigene Betrieb (VEB) in Seyda, mit ca. 30 Arbeitern und Angestellten, zwei Vertikal- und einem Horizontalgatter und verschiedenen Holzbearbeitungsmaschinen. „1956 wurde das Gatter demontiert und die Produktion umgestellt. Man stellte nun Betonsteine, Hohlblocksteine, Gipsplatten, Kabelabdeckplatten, Dachsteine und Siloplatten her. Drei Jahre später schloss sich der Betrieb dem VEB Betonwerk Elster an.“ (Schiepel, aaO 118.). Auf dem Gelände ist seit der Wende eine Baumschule tätig.

 

In der Karte von 1837 sind zwei „Königliche Förster-Wohnungen eingezeichnet; eine in Glücksburg und eine in Seyda; beide Häuser stehen noch; in Seyda ist es das Haus westlich der Gaststätte „Schützenhaus“.

Das Personal wurde vom preußischen Staat übernommen, jedenfalls sind in den Seydaer Kirchenbüchern Förster vermerkt, die vor und nach dem Machtwechsel Dienst taten. Lediglich der Titel änderte sich, er nannte sich zum Beispiel „Königlich Preußischer Oberförster“ Gustav Friedrich Lüdecke 1822 bis 1830; oder „Förster auf der Seydaer Heide in Glücksburg“ Georg Adam Bohl 1822. Langsam findet die Verschiebung der Oberförsterei Seyda vom Ort weg hin nach Glücksburg statt! Georg Sigismund Otto Paschke ist 1857 der letzte „Oberförster in Seyda“, der in einem Seydaer Kirchenbuch vermerkt worden ist; danach gibt es „nur“ noch „Königliche Förster in Seyda“ – die Oberförster werden nun in Glücksburg gewohnt haben und zur Kirche in Mügeln zugehörig gewesen sein. Tatsächlich wurden „Um 1862/63... die beiden Oberförstereien Glücksburg und Seyda zur Oberförsterei Glücksburg vereinigt.“ (Elstermann aaO 28 nach Taxations-Revisions-Werk der Oberförsterei Glücksburg-Seyda 1862-63 aus dem Forstamt Annaburg.).

 

Die preußische Forstwirtschaft kann man an der exakten Analyse, die auch mit genannter Karte dokumentiert wird, erkennen. Nach Jagen und Abteilungen gab es eine „Spezielle Beschreibung“ des Bestandes. „Bereits 1828 war eine Abschätzung der Oberförsterei Seyda erfolgt, das Gebiet wurde in den Jahren 1827 bis 1829 durch den „Conducteur“ Herbst vermessen (I). Zwei begradigte Wege, der „Rothekreutzweg“ und der „M-Weg“ (= Dahmsche Straße), bildeten die Basis für die erste Jageneinteilung. Bis 1862 erfolgte durch Einlegung einer Linie die Halbierung dieser Jagen, die so entstandenen Formen bilden bis heute die Einteilung des Waldes (III). Durch diese Maßnahmen wurde die Erschließung wesentlich verbessert, zumal auch im Bruch einige Gestelle befahrbar gemacht wurden (IV). Mit den Jagen verloren die alten Forstortsnamen ihre eigentliche Funktion als Ortsbezeichnungen.“ (Elstermann aaO 25 und 28, Aus dem Archiv des Forstamtes Annaburg: I = Abschätzung und Einrichtung der Oberförsterei Seyda im Regierungs-Bezirk Merseburg 1837; III = Taxations-Revisions-Werk der Oberförsterei Glücksburg-Seyda 1862/63; IV = Taxations-Notizbuch der Oberförsterei Glücksburg-Seyda geführt vom 1. October 1863 ab.).

 

Bei der preußischen Bestandsaufnahme wurde eingeschätzt, dass eine Verjüngung der Eichen nicht mehr möglich war. Durch die intensive Beweidung und fehlende Einschonung der Gehaue waren die Jungpflanzen nicht nachgekommen, die alten Masteichen waren 1837 kaum noch masttragend. Auch aufgrund der eingetretenen Bodenverhältnisse betrachtete man die Eiche als nicht mehr anbaubar, nur im Außenrevier, auf dem „Zahnaer Kienberg“, war sie noch vertreten. (Elstermann aaO 25 und 27.).

Für die Verjüngung setzte man auf die natürlich vorkommenden Baumarten, auf vorwiegend natürlichem Wege. Da blieb für den Hochwald nur die Kiefer, mit einer Dauer bis zur „Ernte“ von 120 Jahren. Erste Erfolge der Einschonung zeigten sich hier schon.

„Als vorrangig erachtete man außerdem die Herstellung der Betriebssicherheit gegenüber Sturm, eine konsequente Hiebsführung von Ost nach West wurde angestrebt.“ - „Die Erle und die Birke wurden mit sechzigjähriger Umtriebszeit bewirtschaftet.“ (Elstermann aaO  27.).

 

Nach und nach setzten sich in der Bestandsbegründung Saat und Pflanzung durch. „Auf dem Gebiet der Bestandspflege gewann die Durchforstung an Bedeutung.“

„Um die Mitte des Jahrhunderts begann die Ablösung der vielen Berechtigungen. Dadurch wurde der Wald nicht nur von den Belastungen der Streunutzung und Waldweide befreit; in der forstlichen Bewirtschaftung brauchte man nun nicht mehr Rücksicht auf die Interessen der Berechtigten zu nehmen. Sorgen, ob denn nach einer Durchforstung nicht ein Mangel an Raff- und Leseholz eintreten würde, brauchte man sich nun nicht mehr zu machen (I).

Auch der Holzabsatz veränderte sich. Da die Nachfrage in der Umgebung recht stark war, blieb er auch weiterhin lokal begrenzt. So wurde nicht einmal die neue Bahnlinie Berlin-Dresden zum Abtransport genutzt (III).

(Elstermann aaO 28., nach Akten aus dem Archiv des Forstamtes Annaburg: I = Abschätzung und Einrichtung der Oberförsterei Seyda im Regierungs-Bezirk Merseburg 1837; III = Taxations-Revisions-Werk der Oberförsterei Glücksburg-Seyda 1862/63.).

 

Einschneidende Veränderungen gab es jedoch bei der Art und Weise des Holzverkaufs. Sehr anschaulich wurde dieser Wandel vom damaligen Seydaer Bürgermeister Ruperti dargestellt. In seinem Bericht über die Lage in der Turmkugel 1830 klagt er bitter über die neue Zugehörigkeit zu Preußen: „Ich kann als patriotischer Sachse nicht unterlassen, den Wunsch und auch die feste Überzeugung auszusprechen, dass die so höchst

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

ungerechter Weise erfolgte Zerstückelung des gesegneten Königreiches Sachsen über lang oder kurz einen Rächer finden, Sachsen wieder in seinem alten Umfang hergestellt und vielleicht, Gott gebe es, noch mehr abgerundet und ergänzt glorreich fortblühen wird! Möchten wenigstens meine Söhne dieses herrliche Ereignis erleben und möchte es ohne zu großes Blutvergießen herbeigeführt werden können! ...

Dahin gehört das übertriebene Wuchern mit dem in Staatswaldungen geschlagenen Holze. Ehedem wurde von der Sächsischen Regierung in jedem deshalb erlassenen Schrieben befohlen, dass vor allem, ... auf das Bedürfnis der Untertanen Rücksicht genommen werde. Dieselben erhielten es für eine billige Taxe und wie sie solches bedürfen, besonders das Bauholz. Dagegen wird jetzt alles Holz nur in Auktionen verkauft.“ (Aus dem Seydaer Pfarrarchiv. 1854, als der Turm wieder erneuert wurde, heißt es dann aber: „Schriftliche Nachrichten des vormaligen Bürgermeisters Ruperti vom Jahre 1830 sind nicht wieder mit eingelegt, sondern ins Archiv genommen worden, da sie unwahres Raisonnement über Preußen enthalten.“).

 

Auch die Sortimente änderten sich. Brennholz wurde im Verlauf des Jahrhunderts immer weniger abgesetzt, der Bedarf an insbesondere stärkeren Nutzholz stieg dagegen ständig an.“ (Elstermann aaO 29.).

 

 Im Gegensatz zu früheren Zeiten spielte die Jagd eine weitaus geringere Rolle. Wegen der Aufhebung der Schonzeit war Schwarzwild schon 1837 nicht mehr vorhanden. Insbesondere die im Zuge der Revolution von 1848 verkündete „Jagdfreiheit“ verursachte einen drastischen Rückgang des Wildbestandes, der sich erst wieder nach dem „Jagdpolizeigesetz“ von 1850 erholen konnte (III).

Mit der Romantik eines verfallenden Jagdschlosses hatte man nichts im Sinn; es soll 1817 oder 1818 verkauft und abgetragen worden sein (III).

Dieser Wandel im lokalen Forstwesen war nichts anderes als eine Anpassung an sich verändernde gesellschaftliche Bedingungen. Aus der Amtsheide war ein Forst entstanden, der den steigenden Ansprüchen einer aufstrebenden Wirtschaft gerecht werden musste. Seit 1864 war Deutschland auf Holzimporte angewiesen (16).

Die nun an den Wald gestellten Forderungen unterschieden sich gründlich von denen früherer Zeiten. Die Landwirtschaft war immer mehr in der Lage, ohne Streunutzung und Waldweide zu bestehen. Die Kohle verdrängte mehr und mehr das Brennholz. Dagegen stieg der Bedarf an Nutzholz stetig an. Das Forstwesen musste sich dieser Entwicklung anpassen, in der Bewirtschaftung des Waldes ebenso wie in der Wahl der Bestockung. So verwundert es nicht, dass die Kiefer unter den hiesigen Bedingungen zur dominierenden Baumart des Hochwalds wurde. Erst nach Ablösung der meisten Berechtigungen, also etwa ab 1865, gab es auch kleinflächige Beimischungen anderer Baumarten.

 

Einen größeren Umfang erlangten dabei nur die Eichensaaten von 1866. Im Sommer 1864 wurden große Teile der „Nonnenheide“ durch Raupen des Kiefernspinners kahlgefressen (Anlage 9). Nur mit Hilfe von auswärtigen Arbeitskräften konnte man den Schadholzanfall bewältigen; im Jagen 88 wurde eine Dampfschneidemühle errichtet (31). Nach dem Fraß mussten 425,2 ha neu aufgeforstet werden (V). Auf dem Großteil dieser Fläche wurden 1866 streifenweise Eichensaaten angelegt, insgesamt 105 Morgen (ca. 27 ha). Sie waren vor allem als Feuerschutz gedacht (IV). Doch der Erfolg blieb aus. Die Saaten gingen zwar auf, doch wurden sie im folgenden Frühjahr von Spätfrösten vernichtet. Die wieder ausgeschlagenen Pflanzen litten auch in den Folgejahren unter Spätfrösten, im Winter wurden sie vom Wild verbissen (IV). Diese Streifensaaten sind völlig misslungen; 1891 wurden in den betreffenden Jagen keine Eichen mehr erwähnt (VI). Allerdings hätte auch ein Gelingen wenig an der Vorherrschaft der Kiefer ändern können. Denn nur mit der Kiefer konnte man unter den gegebenen Bodenverhältnissen das Wirtschaftsziel erreichen.“ (Elstermann aaO  28 bis 30; Anlage 9 ist eine handgezeichnete Karte über „Fraß und Bekämpfung des Kiefernspinners in der Oberförsterei Glücksburg 1864/68“; 16 = Hasel, Karl: Forstgeschichte aaO;  31 = Zippel, Heinz: Zur Chronik von Glücksburg (unveröffentlichtes Manuskript) 1985, 4 Seiten; IV, V und VI sind Akten aus dem Archiv des Forstamtes Annaburg: Taxations-Notizbuch der Oberförsterei Glücksburg-Seyda geführt vom 1. October 1863 an; Original-Taxations-Revisions-Werk der Oberförsterei Glücksburg für den Arealzustand vom 1ten October 1871; Abschrift von dem Original-Taxations-Revisions-Werke der Oberförsterei Glücksburg für den Areal-Zustand vom 1ten October 1891.).

 

Zum preußischen Forstwesen gehörten auch genaue Klimabeobachtungen: So wissen wir, dass von 1881 bis 1903 die mittlere Lufttemperatur 8,4 Grad Celsius betragen hat; im Januar war das Monatsmittel minus 0,8 Grad, im Juli 18,1 Grad Celsius. Extremwerte gab es am 2. Mai 1869 mit minus 3 Grad Celsius, 1934 gab es noch am 7. Juni Spätfrost. 1881 bis 1930 wurden im Durchschnitt jährlich 522 mm Niederschlag gemessen, diese als „niederschlagsarm“ zu bezeichnenden Werte werden sich später durch die Entwaldung im Zuge der militärischen Nutzung noch gesenkt haben.

(Elstermann aaO 5.).

Früher waren im Umfeld der Heide auch mindestens 20% Wiesen – durch die Entwässerung sind auch diese nicht mehr so feucht, wie sie einmal waren, was Rückwirkung auf das Klima hat.

 

9. Die romantische Förstersfrau

„Aus dem Waldleben. Bilder aus dem Leben im Forsthause.“ – unter diesem Titel erschienen 1883 in der „Saale-Zeitung“ Naturbeschreibungen, geschrieben von Ottilie Ludwig aus Seyda. In einer Zeit, als sich Mitteldeutschland zu einem der bedeutendsten Industriegebiete Europas entwickelte und die „Entfremdung“ der Menschen vom Leben auf dem Lande und mit der Natur immer mehr Gestalt annahm, sehnte man sich nach der „guten alten Zeit“ und las mit Interesse derartige Darstellungen. So wurden die einzelnen Artikel 1884 als ein Buch herausgegeben; in der „Vorrede“ stellt die Dichterin sich selbst und ihr Werk vor:

„Wenn diese Bilder aus dem Waldleben nicht nur den Angehörigen der grünen Farbe und ihren Familien, sondern auch andern Kreisen einige heitere Stunden bereiten, so wird mir das eine große Freude sein. Nicht wissenschaftliche Belehrungen, nicht romanhafte Schilderungen konnte und wollte ich geben, keine Ueberschwänglichkeiten, keine unmöglichen Menschen: aber Natürliches, Wahres, Selbsterlebtes aus dem Walde und Forsthause, das durch Einreihung einzelner Nebenfiguren zu einem Ganzen verbunden worden ist.

Es ist eine weibliche Hand, lieber Leser, welche diese Bilder gezeichnet hat. Ein langes Leben hindurch, unter Erfahrungen aller Art, reihte sich ihre Erinnerung an Erinnerung und sie wurden zu einem reichen fort und fort fließenden Quell. Nicht unpassend dürfte es daher gefunden werden, wenn sie an dieser Stelle einige kurze Worte über ihren Lebensgang einfügt.

Im April der ereignisvollen Jahres 1813 wurde ich im Forsthause zu Söllichau bei Düben geboren, als erstes Kind des damaligen Oberforst- und Wildmeisters von Pflugk. Die väterliche Liebe des Jägers begrüßte mich im Leben, Waldluft war es, die zuerst meine Brust hob. Nicht lange aber durfte sich mein Vater seines Familienglückes freuen, schon im Jahre 1816 raffte ihn der Tod dahin. Im Jahre 1818 vermählte sich meine Mutter zum zweiten Male mit dem Oberförster Perl, der mir ein ungemein liebender Stiefvater wurde. Oft begleitete ich ihn auf seinen Waldgängen und Waldfahrten, wobei er mich auf alles aufmerksam machte, und so mein Interesse an der Natur und meine Liebe zum Waldleben weckte. Die Oberförstereien Zöckeritz, Heldrungen und Seyda wurden nach einander von ihm verwaltet.

Während meiner langjährigen Ehe mit dem Hegemeister Ludwig hatte ich noch mehr Gelegenheit, den Wald und das forstliche Leben kennen zu lernen; bei der aufopfernden Thätigkeit meines Gatten aber namentlich auch die Gefahren und die Schattenseiten desselben. Auch ihn entriss mir der unerbittliche Tod vor nun fast zwei Jahren und seine nachgelassenen Manuscripte erst waren es, die mich auf den Weg wiesen, den ich als Verfasserin dieser Waldbilder betreten habe. Die wohlwollende Beurtheilung aber, welche dies von den Lesern der „Saale-Zeitung“ erfuhren, ist es hinwieder, welche mich und meinen Freund, den Verleger der genannten Zeitung, bestimmte, den ersten Cyklus derselben nunmehr in Buchform erscheinen zu lassen.

Seyda, Februar 1884.   Ottilie Ludwig.“

(Ludwig, Ottilie: Aus dem Waldleben. Bilder aus dem Leben im Forsthause. Erster Theil, Halle 1884.).

 

So beschreibt sie nun das Leben im Forsthaus, die Jagd, Holz- und Wilddiebjagd, Hochzeiten und Spaziergänge. Schauen wir doch einmal herein, und erleben wir einmal mit, wie es im Wald zuging vor 150 Jahren:

„Ein Holztag.

Mit ungezügelter Wuth brausten die Aequinoktialstürme über die Erde hin, hier Dächer abdeckend, dort Bäume entwurzelnd, Windmühlen zerbrechend.

Die Nacht wich kaum dem anbrechenden Tage, als schon der Förster Schulz den Wald durchstreifte, um nachzusehen, ob irgendwo ein niedergeworfener Stamm die Kommunikationswege gesperrt habe.

Mit übergehangener Axt kam ihm von Alberg her, von gleicher Sorge erfüllt, der alte Hinz entgegen und rief schon aus einiger Entfernung: „Die große Kiefer! Herr Förster, die alte Kiefer mit dem Wegzeichen! ´s ist wahr! Wenn die nicht faul wäre, die gäbe eine Mühlruthe! Aber so – morsch – überall Starnester drin – Jammerschade! - ´s ist wahr!“

Der Förster ging mit dem Alten zu dem Windbruche, der quer über die Straße liegende Baum hemmte jede Passage.

„Gehen Sie gleich zurück,“ befahlt er dem alten Hinz, „und holen Sie Holzhauer mit der Schrotsäge herbei, wir müssen den Weg frei machen. Schade um den alten Burschen, der hier liegt, er mag sich wohl 150 Jahre mit frischem Maiwuchs geschmückt haben!“ Bei diesen Worten klopfte er mit dem Stocke an verschiedene Stellen des Stammes und brummte dabei: „Der Hinz hat Recht. Schade um den Baum, er ist durch und durch faul!“

Weiterhin hatte der Sturm eine andere Kiefer entwurzelt, sie aber nur schräg an die nebenstehenden gelehnt, ohne dass sie ganz gefallen war. Ueberall aber lagen trockne und grüne Aeste vom Sturm herabgeschleudert am Boden, als eine köstliche Bescherung für die armen Leute, die heute in Scharen mit Karren herbeieilten, um sich das „Leseholz“ zu holen, was ihnen, nachdem sie Zettel gelöst, gestattet war. Durch Vorzeigen dieser Zettel mussten sie sich vor den Forstbeamten legitimieren.

Heute hatte der Sturmwind den Armen einen reichen Segen herabgeschüttelt. Knackend brachen die Weiber die dürren Zanken vor den Knien, um sie bequemer auf ihre Karre laden zu können, während die Männer mit ihrer größeren Kraft die stärksten Aeste handlich zu machen vermochten. Dann ging es mit der schweren Last in fiebernder Hast der Heimath zu, um nochmals zu gleichem Werke zurückzukehren.

Am Nachmittage jedoch war der Fund viel geringer als am Morgen. Der Fleiß und die Menge der Holzholer hatten schon tüchtig aufgeräumt und so mancher hatte in dieser Voraussicht Beil und Säge mitgenommen, um das Fehlende zu ergänzen. Die Anwendung dieser Instrumente ist aber streng verboten. Die Forstbeamten müssen stets ein wachsames Auge darauf richten, dass durch schneidende Instrumente kein Missbrauch in der Leseholzvergünstigung einreiße, und sind verpflichtet, bei Uebertretungen diese Werkzeuge zu konfiszieren. Mehrere solche Fälle traten heute ein. Das weiche, theilnehmende Herz des Försters gönnte den Armen die reiche Ernte, die sie heute gehalten, als sein geschärftes Ohr den unverkennbaren Ton einer Säge vernahm, die in der Nähe arbeitete. Der Beamte folgte dem Tone kam heran und frug den überraschten Frevler nach der Säge... Der Dieb erbleichte. Denn auf seiner breiten Brust fand sich unter der Jacke eine scharfe Handsäge, die ihm der Förster ohne Umstände abnahm und als Pfandstück zurückbehielt. „Im Forstgericht sehen wir uns wieder!“ sprach er und ging fort, ohne weiter auf die Worte des Ertappten zu achten.

Dort am kleinen Raupengraben lag eine umgeworfene Karre mit dürren, dünnen Reisern, mit deren Wiederaufrichtung sich eine alte abgezehrte Frau vergeblich abmühte. Sie trocknete mit ihrer Schürze den Schweiß, der ihr trotz des kalten Tages von der Stirn rollte, und die Thränen, die ihren Augen entquollen.

Sie erschrak, als sie den Förster dicht neben sich hinter einer dicken Kiefer hervortreten sah.

„Ach lieber Herr Förster,“ bat sie, „pfänden Sie mich nicht!“ – „Weshalb soll ich Sie pfänden?“ fragte dieser, „Sie haben ja nichts als dürre Reiser, das reine Storchnest.“ – „Ja, aber-_“ „Was denn aber?“ „Ich – ich habe meinen Holzzettel nicht bei mir,“ sprach sie ängstlich. „Er liegt zu Hause in meiner Lade und bezahlt ist er auch, das können Sie glauben.“ – „Ich glaube es,“ lächelte Schulz, indem er der Frau die Karre aus dem Graben hob. „Wie gut Sie doch sind!“ sprach die Alte und sah in freundlich an... „Schon gut!“ rief dieser zurück und ging weiter in den Wald hinein, wo sich fröhliches Lachen hören ließ. Es waren muntere Mädchen, die scherzend ihr Holz zusammentrugen...“

(Ludwig aaO, 316-322.).

 

Ottilie Ludwig hat 1851 in der Seydaer Kirche geheiratet, sie wohnte also über 30 Jahre im alten Forsthaus in Seyda, was heute noch steht und als Wohnhaus genutzt wird, westlich der Gaststätte „Schützenhaus“, das barocke Dach verrät sein Alter. Früher stand es noch recht allein, die „Seydaer Vorstadt“ wurde erst in den letzten Jahrzehnten gebaut; früher war die „Neue Straße“ die Stadtgrenze.

„Wenn du einmal von Wendisch-Linda oder Mügeln nach Seyda wanderst und du nach stundenlangem Marsch aus dem Walde heraustrittst, so grüßen dich rechts am Wege die ersten Häuser Seydas, die Arbeiterkolonie, zwei Sägemühlen und das Schützenhaus. Und dahinter wirst du ein Häuschen finden, lauschig versteckt unter einer mächtigen Linde. Eine Lärche steckt schützend wie ein Pförtner ihre Zweige über den Eingang zum Garten, Lebensbäume stehen als treue Wächter an der Seite des Fußsteiges, und dahinter duftet es von zahlreichen Blumenbeeten. Dies Häuschen ist wahrlich eine Stätte des Friedens, so recht geschaffen zum Dichten, Träumen und Sinnen. Darum, du eilender Wanderer, raste hier einen Augenblick und gedenke dabei der Schriftstellerin Ottilie Ludwig, die lange Zeit in diesem Hause ein Heim gefunden hatte.“

(Oskar Brachwitz im Heimatkalender 1924, Schiepel aaO 87.).

 

10. Ein großes Liebeswerk

Das stelle man sich heute einmal vor: Da kommen plötzlich Hunderte von Obdachlosen nach Seyda, um hier zu wohnen und zu bleiben! Wer würde da nicht Sorge um seine Äpfel im Garten, um sein Haus und Hof, um seine Kinder haben? Und doch ist es so geschehen, im Jahre 1883. Nach dem Vorbild der Arbeiterkolonie von Pastor Bodelschwingh in Bethel wurde auch in Seyda ein Jahr später eine solche Arbeiterkolonie für die „Brüder von der Landstraße“ errichtet. Die Initiative dazu hatte der Regierungsrat Gustav von Diest übernommen, ein Verwandter Bodelschwinghs.  Brotlosen Landarbeitern, die zur Zeit des „Gründerkrachs“ die Landstraßen überschwemmten, weil sie – wegen fehlender sozialer Absicherung und sozialer Entwurzelung – weder Haus noch Hof und auch keine Arbeit hatten, sollten ein Dach über dem Kopf und Arbeit bekommen. Der Mut und die Tatkraft für solch großes Liebeswerk erwuchsen aus dem christlichen Glauben. „Was Ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt Ihr mir getan.“ sagt Jesus Christus (Matthäusevangelium Kapitel 25). Davon sprechen auch die Dokumente jener Zeit; etwa, wenn Gustav von Diest in seiner Rede zur Eröffnung der Arbeiterkolonie bekennt, er wisse nicht, wie die Finanzierung in den nächsten Monaten vonstatten gehen könne, aber im Vertrauen auf den Herrn Jesus Christus sei das Werk begonnen worden, und dieser würde gewiss auch weiter helfen.

 

Nach einem damals modernen Verfahren wurden Teile der Heide durch Ziehen von Gräben trockengelegt. Sie waren bis dahin nur im Winter, bei Frost, begehbar und damit nutzbar gewesen. Nun gewann man wertvolles Wiesen- und Ackerland. Es wurde landwirtschaftlich genutzt und auch verkauft, und mit diesen Einnahmequellen konnten die „Kolonisten“ versorgt und auch mit einem kleinen Taschengeld versehen werden, wenn sie dann nach einigen Monaten die Arbeiterkolonie wieder verließen.

 

Das Trockenlegen geschah nach der Methode der Rimpauschen Moordammkulturen. Landwirt Rimpau aus der Altmark, geboren 1822, hat sie entwickelt. „Moordammkulturen sind Grünflächen, die in regelmäßigen Abständen von ca. 20 bis 40 Metern durch eine Vielzahl, heute oft zugewachsener, mit den verschiedensten Baum- und Strauchgehölzen bewachsenen Gräben unterteilt und durchzogen sind.“ (Informationstafel des Heimatvereins Glücksburger Heide an der Dahmschen Straße.).

Die alten Bauern erzählen noch heute vom Heuholen auf den Wiesen: Oft versanken Wagen und Pferde in dem Morast; Bretter mussten gelegt werden, auf denen die Wagen fuhren. Erst später, in LPG-Zeiten, wurden noch einmal tiefere Gräben gezogen, die die Wiesen noch trockener legten. Den Beginn aber legte in Seyda das soziale Projekt „Arbeiterkolonie“.

 

Ein Jahr zuvor hatte es bereits in Bethel bei Bielefeld die erste Arbeiterkolonie auf Betreiben von Pastor Friedrich von Bodelschwingh gegeben; Gustav von Diest, Regierungsrat in Merseburg, folgte diesem Beispiel.

„In der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts war es aufgrund einer wirtschaftlichen Rezession zu Massenentlassungen gekommen. Die Arbeits- und Obdachlosen erhielten keine staatliche Unterstützung und vagabundierten auf der Suche nach Arbeit durch das Land. Aber es gab auch viele, die überlegten, wie diese Not zu lindern sei. Einer davon war der Pastor Friedrich von Bodelschwingh, der „seinen Brüdern von der Landstraße“ durch „Arbeit statt Almosen“ zu helfen versuchte. Er gründete am 22. März 1882 die erste ländliche Heimstätte für wandernde Arbeitslose, die Ackerbaukolonie „Wilhelmshof“ (Westfalen - T.M.) und machte dort in kurzer Zeit beste Erfahrungen...

Auch in der Provinz Sachsen und im Herzogtum Anhalt schlossen sich Männer zusammen, um im Sinne und Geiste Bodelschwinghs zu wirken. Auf Einladung des damaligen Regierungspräsidenten v. Diest - Merseburg fanden sie sich am 9. November 1882 in Halle zu einer ersten Beratung zusammen, an der auch Pastor v. Bodelschwingh teilnahm. Am 13. Februar 1883 fand in Halle die Gründung des Vereins für die Provinz Sachsen und das Herzogtum Anhalt zur Beschäftigung brotloser Arbeiter mit Sitz in Halle statt. Das Vereinsstatut wurde beraten und ebenso die pachtweise Erwerbung eines 400 Morgen großen moorigen Geländes im Revier der Oberförsterei Glücksburg. Nachdem am 3. März eine eingehende Lokalbesichtigung stattgefunden hatte, wurde in der Vorstandssitzung am 15. März „die Anlegung der Kolonie Seyda beschlossen“. Der Grundstein wurde am 10. August gelegt. Maurermeister Zierold aus Seyda führte die Bauten zur größten Zufriedenheit aus. Nicht jeder Seydaer war mit der Gründung der „Kolonie“ anfangs einverstanden. Im Schweinitzer Kreisblatt ist nachzulesen: „... zu keiner anderen Zeit ist der Ort von einer solchen Anzahl arbeitsloser, vagabundierender Menschen heimgesucht...“, oder: „fast täglich nächtigen in der dortigen Herberge 15 bis 20 solcher Kunden“. Aber schon ein Jahr später heißt es: „..., dass hier wirklich unglücklichen... Menschen wieder soweit aufgeholfen wird, dass sie in die menschliche Gesellschaft wieder als nützliche Glieder eintreten können“.

Die Kolonisten machten die mit Erlengestrüpp und saurem Gras bewachsenen Moorländereien um Seyda nach und nach urbar. Durch Ausheben von zwei Meter breiten Gräben wurden Beete von 800 bis 1.000 m Länge und 25 m Breite gebildet. Die Gräben leiteten das Grundwasser in den zentralen „Morgengraben“, wodurch sich der Grundwasserspiegel erheblich senkte. Die Beete wurden dann planiert und mit 13 cm Sand bedeckt. In der ersten Zeit wurde der Sand mit Schubkarren, später mit der Feldeisenbahn angefahren. Es gab 2 km Schienen und 36 Kipploren. Obwohl die Anstalt für 100 Kolonisten gedacht war, musste sie bald erweitert werden, denn manchmal waren es 200 und mehr. Waren die Ernten in den ersten Jahren auch noch mäßig, so wogten doch bald goldgelbe schwere Getreidefelder in der Seydaer Flur. Die Regulierung des Hauptgrabens führte zu einem Ernteertrag von 18 Zentner Gerste pro Morgen. Auf den Wiesen wuchsen saftige Gräser, und das Heu wurde im Frühling gleich an Ort und Stelle versteigert.“

(Lange, Michael: Vergangenheit und Gegenwart des Diest-Hofes. In: Das Heimatbuch für den Kreis Jessen, Jessen 1993. Michael Lange leitete den Diest-Hof von 1984 bis 2000.).

 

Durch diese Arbeiterkolonie wurde Seyda erneut über die Grenzen des Landes bekannt:

„Am südlichen Abhange des Flämings liegt im Kreise Schweinitz das kleine Landstädtchen Seyda mit 1.500 Einwohnern, welches wegen seiner von jeglichem Verkehr abgeschlossenen Lage vor 1883 selbst manchem Kreiseingesessenen wohl nur dem Namen nach bekannt war, seit dieser Zeit aber in allen Teilen der Provinz genannt wird als eine Stätte christlicher Nächstenliebe.“ (Die Provinz Sachsen in Wort und Bild, 295). Nach dem Muster der Arbeiterkolonie Seyda sind in Deutschland noch 30 solcher Anstalten entstanden, darunter noch eine in der Provinz Sachsen, in Magdeburg. (ebenda, 295).

 

 

 

Für die „Brüder von der Landstraße“  wurden Fachwerkhäuser errichtet, die auch heute noch zu sehen sind: ein Anstaltsgebäude, ein Kolonistenhaus, ein Wirtschafts- und Waschhaus. Am Giebel des ersten Gebäude zur Straße war auf einem Schild der alte hilfreiche Mönchsspruch zu lesen: „Bete und arbeite!“ Unter der Aufsicht von „frommen Brüdern der Neinstedter Anstalten“ wurde hier vielen geholfen.

 „Obwohl die Anstalt für 100 Kolonisten gedacht war, mußte sie bald erweitert werden. Manchmal mußten mehr als 200 Männer untergebracht werden. Für die Arbeitsleistung erhielt der Kolonist Verpflegung, Obdach, Wäschereinigung, Licht und Heizung, außerdem eine tägliche Arbeitsvergütung von 20 bis 50 Pfennigen.“ (Die Provinz Sachsen in Wort und Bild, 295).

Lassen wir uns hineinnehmen in das Leben in der „Arbeiterkolonie“ am Beginn unseres Jahrhunderts in einer zeitgenössischen Beschreibung:

„Rings von Kiefernwald umgeben steht das einfache, schmucklos gehaltene Gebäude inmitten der Wirtschaftsgebäude da, den Vorübergehenden durch seine in großen Lettern angebrachte Inschrift „Bete und arbeite!“ den Zweck unseres Daseins predigend. Manchem Besucher, der vielleicht nur aus Neugier die Anstalt einer Besichtigung unterzog, mag dieselbe wohl wie ein Johannes in der Wüste erschienen und ein stummer Bußprediger geworden sein. - Mit einem geheimen Schauer betreten wir den Hof. Dort unter dem Portal des Gebäudes auf einer Bank sitzt ein Greis von 70 Jahren, neben ihm ein Jüngling, der kaum die Kinderschuhe ausgezogen hat; beide sind in tiefe Gedanken versunken. Vielleicht steigt jetzt vor ihren geistigen Augen jenes Gebäude mit den undurchdringlichen Mauern und den Gitterfenstern auf, welches sie vor kurzem noch gefangen hielt. Der freudige Blick des Greises bei unserem Nahen zeigt uns, dass er sich hier unter dem Zwange der Hausordnung glücklicher fühlt, als in jener Zeit, da der Ordnungszwang zugleich als Strafe auf ihm lastete. Doch unter den „Kolonisten“ befindet sich auch mancher, der unverschuldet in Not geraten ist und Seyda aufsuchte, um nicht noch tiefer zu fallen. Zwar gehört hierzu eine Selbstüberwindung, zu der nicht jeder fähig ist, die aber für der Kolonisten späteres Leben nicht ohne Einfluss bleibt. Unter den 1898 aufgenommenen 196 Personen befanden sich 158 bestrafte und 38 unbestrafte.

Zu den beiden Kolonisten gesellen sich in kurzer Zeit noch etwa 70 andere, welche von dem Felde heimgekehrt, den Ton der Glocke erwarten, der sie zur Mahlzeit ruft. Der größte Teil der Kolonisten wird nämlich auf dem etwa 100 ha umfassenden „Koloniefelde“ mit Landarbeit beschäftigt. - Einer der drei dienenden Brüder bietet sich uns auf unsre Meldung bereitwilligst als Führer an, und wir betreten zunächst den im Erdgeschoss gelegenen Betsaal, in welchem die Morgen- und Abendandachten, sowie die patriotischen Festfeiern abgehalten werden. Einfach, aber würdig ausgeschmückt bietet dieser Betsaal mit seinen Wandsprüchen, die uns zwar aus der Bibel bekannt sind, deren tiefe Bedeutung wir aber hier erst recht erkennen, einen freundlichen Anblick.  Während wir die zahlreichen Inschriften lesen, hat der „Bruder“ vor dem Harmonium Platz genommen, und die unerwartet unser Ohr berührenden Akkorde des Chorals „Aus tiefer Not schrei ich zu Dir“ verfehlen ihre Wirkung nicht. - Doch jetzt verkündet die Glocke, dass der Tisch gedeckt ist, und wir begeben uns unter Führung des Bruders in den geräumigen Speisesaal, in welchem die dampfenden Schüsseln auf langen Tischen zur Mahlzeit einladen. Wenn auch die Kost einfach ist, denn es können für Beköstigung pro Tag und Kopf nur 50 Pfennige verwendet werden, so sind die Speisen doch unter der Leitung einer tüchtigen Hausfrau außerordentlich schmackhaft und sauber zubereitet. Diese „große Familie“ muss in einem noch nicht ganz verdorbenen verlorenen Sohne (Lukasevangelium Kapitel 15) die Sehnsucht nach dem trauten Heim erwecken, wo die sorgende Mutter der Suppe die schönste Würze, die Liebe beigab. Und in der Tat kehrt ein guter Prozentsatz der Kolonisten nach ihrer Entlassung zur Familie, zum Heim zurück. Der Gedanke, dass wir uns zwischen zum größten Teil heruntergekommenen Menschen befinden, schwindet fast gänzlich, und wir lassen uns auf Einladung des Bruders hier für einige Augenblicke nieder und hören den Ausführungen desselben über Einrichtung und Hausordnung der Anstalt zu.

Die Kolonie zu Seyda hat 100 Plätze. Bis Ende Februar 1900 wurden insgesamt 6.049 Personen aufgenommen und 5.963 entlassen. Der höchste Personenbestand von 97 Personen war im Januar 1899 zu verzeichnen. Wegen Überfüllung brauchte bisher also keinem Bittenden die Aufnahme verweigert werden. Aufgenommen werden arbeitslose Leute aller Art, ohne Unterschied der Konfession und des Standes, auch erlittene Strafen schließen von der Aufnahme nicht aus; jedoch werden absolut arbeitsscheue Personen wieder entlassen. Der Eintritt geschieht durchaus freiwillig, denn die Anstalt ist kein Zwangshaus. Der Aufenthalt dauert gewöhnlich 4 Monate, auf Wunsch aber noch länger. Fügung unter die Hausordnung ist unbedingtes Erfordernis. Branntweingenuss ist streng verboten, weil viele der Insassen gerade durch Trunksucht ins Elend gekommen sind.

Die Hauptbeschäftigung der Kolonisten besteht in landwirtschaftlichen Arbeiten, Moorkultur nach Rimpauschem System; Gebäude, Hof und Garten sind Eigentum des „Vereins zur Beschäftigung brotloser Arbeiter für die Provinz Sachsen und das Herzogtum Anhalt“. Die Kosten der Kolonie werden gedeckt durch Provinzialzuschüsse, durch Kollektengelder und durch den Ertrag der Landwirtschaft, welcher sich im Jahre 1899 auf rund 38.000 Mark belief. Leiter der Anstalt ist der zweite Geistliche in Seyda. In der Kolonie wohnt als Aufsichtsbeamter ein Hausvater, dem 3 Gehilfen („Brüder“) zur Seite stehen, welche dem Bruderhause des Lindenhofes in Neinstedt angehören. Unter den Kolonisten sind viele, welche die Anstalt schon öfter als Zufluchtstätte aufsuchten. An Arbeitslohn erhält jeder Kolonist außer freier Station täglich 50 Pfennig; das verdiente Geld wird bei der Entlassung gezahlt.

Doch nun müssen wir unsere Schritte beschleunigen, um noch den Schlafsaal mit seinen sauberen Betten, die Küche mit ihren blanken Kesseln und Geschirren, die Badeanstalt mit ihren praktischen Einrichtungen und zuletzt noch die Scheunen mit ihren Maschinen und die Ställe mit ihren glatten Rindern einer Besichtigung zu unterziehen.

Man kann die Anstalt nur hochbefriedigt mit dem Wunsche verlassen, dass sie und ihr christlicher Liebesdienst auch fernerhin in Segen wirken möge.“

(Hermann Würzberg, Blönsdorf, in: Die Provinz Sachsen in Wort und Bild, 295-297; zur Arbeiterkolonie vgl. auch „Heimatgrüße“ 12/1913 und  5/1931. (Gemeindeblatt für den Kirchenkreis Zahna).).

 

Brich dem Hungrigen dein Brot.

Die im Elend wandern, führe in dein Haus hinein!

Trag die Last der andern.

 

Brich dem Hungrigen dein Brot,

du hast´s  auch empfangen.

Denen, die in Angst und Not, stille Angst und Bangen.

 

Der da ist des Lebens Brot, will sich täglich geben,

tritt hinein in unsre Not, wird des Lebens Leben.

 

Dank sei dir, Herr Jesu Christ, dass wir dich noch haben

und dass du gekommen bist, Leib und Seel zu laben.

 

Brich uns Hungrigen dein Brot, Sündern wie den Frommen,

und hilf, dass an deinen Tisch wir einst alle kommen.“

(Evangelisches Gesangbuch Nr. 418).

So hat einer gedichtet, der in Seyda in diesen Jahren aufgewachsen ist und das Leben der Arbeiterkolonie miterlebt hat. Sein Vater war „der zweite Geistliche in Seyda“ und mit der Betreuung der Arbeiterkolonie beauftragt. Gleichzeitig hat er in seiner Kinder- und Jugendzeit Sonntag für Sonntag vor unserem Altar gesessen, in dessen Mitte der Abendmahlstisch dargestellt ist: Sehr schön geschnitzt, Jesus mit seinen Jüngern beim Mahl. Und im Vordergrund ist auch schon alles hingelegt: Brot und Kelch, für den, der noch herzukommt. All das spiegelt sich in dem Lied wieder, was Martin Jentzsch 1951 gedichtet hat. Er wurde nach Auskunft unseres Gesang-buches (Nr. 957) 1879 in Seyda geboren.

 

Bis in unsere Tage hinein ist in Seyda eine „Kolonistenstulle“ sprichwörtlich für ein daumendick geschnittenes und geschmiertes Pausenbrot, was die Kolonisten mit auf die Arbeit nahmen.

 

Was genau geschah in der Heide? Der Hauptteil der Arbeiten geschah im Erlenbruch. Wollen wir dazu wieder den Forstmann zu Wort kommen lassen.

„Der im Südwesten der Seydaer Heide gelegene Bruch umfasste 1837 noch 1802 Morgen (ca. 460 ha) zur Holzzucht nutzbare Fläche. Ein Wiesenband teilte das Gebiet in den nördlichen „Seydaer Bruch“ und den südlichen „Genthaer Bruch“(Anlage 2). Neben den dominierenden Erlen kamen im Bruch auch Birken vor. Der Zustand der Bestockung war überwiegend schlecht. Mit 566 Morgen nahmen die Blößen und Räumden fast ein Drittel der Fläche ein. Ein Grossteil der Erlenstöcke war entweder eingegangen oder brachte nur noch einen spärlichen Ausschlag. Schon 1779 wurde dazu bemerkt, dass die Erlen wegen fehlender Nachfrage überständig seien und deshalb die Fähigkeit zum Stockausschlag leide (18,III 19h). Um 1837 verjüngte man die Erlen bereits durch Saat und Pflanzung (I). Die Umtriebszeit der Erle betrug 60 Jahre.

Bereits vor 1837 durchgeführte Entwässerungsmaßnahmen sollten eine Steigerung der Bodenfruchtbarkeit bewirken. Davon erhoffte man sich, künftig auch im Bruch eine Hochwaldwirtschaft betreiben zu können. Die erhoffte Fruchtbarkeitssteigerung war 1837 jedoch noch nicht eingetreten (I). Die intensive Beweidung stellte das Haupthindernis für eine Verbesserung der Bestockung dar. Jede Verjüngung und die damit verbundene Einschonung schränkte zwangsläufig die Weidemöglichkeit ein. Aber gerade im Bruch bestanden viele derartige Berechtigungen. So rechnete man mit dem Widerstand der Berechtigten, da „...dieselben seither bei der Mangelhaftigkeit der Bestände einen größeren Weidegenuss gehabt haben, als in eingerichteten Forsten stattfinden kann...“ (I, Abschnitt 6 Punkt 14). Es vergingen noch etwa 30 Jahre, bis diese Berechtigungen vollständig abgelöst waren. Als Entschädigung für die Aufgabe der Berechtigungen wurden neben Geldleistungen auch erhebliche Landabtretungen vorgenommen (Anlage 8). Diese Abtretungen betrafen vorrangig den „Genthaer Bruch“. Dieser wurde vollständig aus der Holzzucht ausgegliedert und überwiegend als Abfindungsfläche abgetreten; der verbliebene Teil wurde künftig als Wiese genutzt.

So blieb 1862 nur noch der „Seydaer Bruch“ übrig, der nach einigen Abtretungen noch 820 Morgen umfasste (III). Fast die Hälfte dieser Fläche war licht oder unbestockt, eine Verbesserung der Verhältnisse war nicht eingetreten. Nun verkürzte man die Umtriebszeit auf 30 Jahre. Die Verjüngung sollte durch natürlich Ansamung erfolgen, man ließ also nach einem Hieb eine bestimmte Anzahl Samenbäume stehen (III). Strenggenommen war es also kein Niederwald, auch wenn er so bezeichnet wurde.

Auch diese Maßnahme brachte nicht den gewünschten Erfolg, sie wurde wenige Jahre später wieder verworfen (V). Ebensowenig wurde die angestrebte Aufforstung der Räumden in die Tat umgesetzt. Die Räumden wurden weiterhin als Wiesen verpachtet. In der Schlussverhandlung von 1875 erörterte man die Frage, ob die Wiesennutzung nicht ohnehin günstiger sei (V). Die Einnahmen aus der Verpachtung galten jedoch als recht mager.“

(Ertrag aus Wiesenverpachtung im Seydaer Bruch: 1870 672,25 Taler; 1871 704,15 Taler, 1872 605,20 Taler, bei 136 bis 132 ha Fläche; Tab. 4 Elstermann aaO 32. – In der Anlage 2 bringt Elstermann eine schöne Karte. – 18 = Grundlagensammlung der Oberförsterei Glücksburg des StFB Jessen (unveröffentlicht) – 1966. I = Aus dem Archiv des Forstamtes Annaburg: Abschätzung und Einrichtung der Oberförsterei Seyda im Regierungs-Bezirk Merseburg 1837; Anlage 8: abgedruckt im Kapitel „Die Waldweide“; III und V aus dem Archiv des Forstamtes Annaburg: Taxations-Revisions-Werk der Oberförsterei Glücksburg-Seyda 1862/63 und Original-Taxations-Revisions-Werk der Oberförsterei Glücksburg für den Arealzustand vom 1ten October 1871.).

„Außerdem seien die Verhältnisse im „Seydaer Bruch“ besser als auf den Erlenstandorten der Lindaer Heide. Positiv wurde die vorhandene Schleuse eingeschätzt, da mit ihrer Hilfe der Feuchtigkeitsentzug des Bruches begrenzt werden konnte. So sprach man sich für eine Beibehaltung der Erlenwirtschaft aus. Die Verjüngung sollte nun durch Pflanzung von Erlenlohden erfolgen. Ebenso wie die alten Stöcke entfernte man auch die Samenbäume, trockene Stellen wurden mit Kiefern begründet. Trotzdem hatte der Bruch und mit ihm die Erle keine Zukunft.“ (Elstermann aaO 31 bis 33).

 

In dieser Situation wurden 1883 große Teile des Bruches an den „Verein zur Beschäftigung brotloser Arbeiter“, der die „Arbeiterkolonie“ betrieb, verpachtet.

„Aller 25 Meter wurden Abzugsgräben angelegt, die das Grundwasser systematisch zum Morgengraben ableiteten und dadurch den Grundwasserstand des Gebietes deutlich senkten. Nach einer Übersandung wurden die Flächen durch den Verein landwirtschaftlich genutzt. (25) Im Jahre 1891 waren 148,222 ha an den Verein verpachtet (VI, 7). Zu diesem Zeitpunkt befand sich der Bruch schon völlig in landwirtschaftlicher Nutzung. Die Tätigkeit der „Arbeiterkolonie“ hatte daran einen bedeutenden Anteil.

 

Die Entwässerungen waren dabei nur Teil einer allgemeinen Entwicklung, so wurden zwischen 1855 und 1925 im damaligen Kreis Schweinitz 20.537 ha Land melioriert (7). Dadurch kam es sicher zu vielen negativen Auswirkungen auf die Natur; auf der anderen Seite ermöglichten diese Maßnahmen erst die Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität, die letztendlich auch die Beseitigung der Streunutzung und der Waldweide ermöglichte.

 

Neben der Entwässerung hat aber vor allem die Absatzentwicklung zum Ende des Bruchs geführt. Schwaches Brennholz, wie es der Niederwald nun einmal erbrachte, war am Ende des 19. Jahrhunderts immer weniger gefragt. Der Aufwand stand in keinem Verhältnis mehr zum Nutzen. Deshalb hat man der Wiesennutzung den Vorzug gegeben.

 

Mit der Erle verschwand nun auch die zweite natürliche Laubbaumart, die einmal einen bedeutenden Flächenanteil hatte. Im hier behandelten Gebiet waren 1891 noch ganze 4,6 ha überwiegend von Erlen bestockt. Davon abgesehen fanden sie sich nur noch als Einmischung im Randbereich des ehemaligen Bruches (VI).“ (Elstermann aaO 31 bis 33; 25 = Gerhardt, Hermann: Seyda einst und jetzt. „Heimatbote Nr. 12 bis 19/1927; VI Aus dem Archiv des Forstamtes Annaburg: Abschrift von dem Original-Taxations-Revisions-Werke der Oberförsterei Glücksburg für den Areal-Zustand vom 1ten October 1891.; 7 = Stein, Constantin: Die deutschen Landkreise Band 2. Berlin-Friedenau 1926, 114.).

 

Nach der Umwandlung des Bruches in Wiesen und Äcker war der Bestockungswandel abgeschlossen. Als bestandsbildende Baumart trat nur noch die Kiefer auf.“ 1891 gab es 98,53% Flächenanteil Kiefern in der Oberförsterei Glücksburg auf dem Gebiet westlich der Oehnaer Straße, also ehemaliges Hauptrevier der Oberförsterei Seyda.

(Elstermann aaO 34, Tabelle 5.).

„Die alte Seydaer Heide hatte sich zum reinen Kieferngebiet gewandelt. Diese Entwicklung stellte schon damals nicht das Ideal der Forstleute dar. Gerade um die Jahrhundertwende gab es wieder mehr Beimischungen mit Fichten, Eichen und auch Erlen (VII). Diese Maßnahmen beschränkten sich jedoch auf die Randbereiche des ehemaligen Bruches, einmal abgesehen von den Eichen im ehemaligen Tiergarten (VII).

Das Altersklassenverhältnis der großflächigen Kiefernreinbestände war immer noch verschoben. Daran hatte der Spinnenfraß von 1864 einen bedeutenden Anteil. Trotzdem hatte man eine Verbesserung gegenüber dem Zustand von 1837 erreicht.“

(32,34 % des Bestandes zwischen 41 und 60 Jahren; Idealfall wäre, wenn aus jeder Altersklasse gleich viel Bestand wäre, also ca. 17%. Vgl. Abb. 4 Elstermann aaO 34.).

 

Die Arbeiterkolonie hatte bis zum Ersten Weltkrieg Bestand, danach war sie Landwirtschaftliche Lehranstalt, bis sie nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Aufnahme vieler Umsiedler, insbesondere solcher, die versehrt und allein da standen, eine kirchliche Einrichtung und nach und nach ein Wohnheim für Menschen mit geistiger Behinderung wurde. Heute sind auf dem Diest-Hof, wie er seit der Wende heißt, 70 Menschen zu Hause. In den drei alten und den zwei neuen Gebäuden am Rande der Heide können sie sich wohl fühlen. Mit mancherlei Veranstaltungen tragen sie auch zum sozialen und kulturellen Leben der Stadt bei, so mit dem Sommerfest und dem Adventsmarkt, einer Kleiderkammer, Ausstellungen und Theateraufführungen.

 

11. Die Waldbahn

(Aus einem Bericht vom Jahre 1886)

 „Die Waldbahn, welche augenblicklich in der Seyda´schen Heide erbaut und am Sonnabend, den 15. Mai vollendet werden sollte, illustriert dem Beschauer wieder einmal so recht die sogenannte preußische affenartige Geschwindigkeit. Herr Oberförster Hense auf Glücksburg hat mit seinen 60 Holzhauern den 11 Kilometer langen Bahnkörper in 14 Tagen planiert, dabei in zwei Tagen einen zwei Kilometer langen Damm bei 1 ½ Meter Wasserstand durch Moorboden geführt. Am Dienstag früh kam der in 36 Stunden von Bochum aus bis nach Linda mit 6000 Mark frankierte Sonderzug mit dem Baumaterial und gleich darauf ein aus 56 Mann, 9 Unteroffizieren und 3 Offizieren bestehendes Detachement des Eisenbahn-Regiments unter Führung des Herrn Hauptmann Gerding in Linda an, und es entwickelte sich auf dem sonst so stillen Bahnhof Linda ein ungewöhnlich reges Leben. Die Eisenbahner haben die gegen 6600 Zentner schwere Ladung des Sonderzuges trotz der auf Bahnhof Linda vorhandenen Terrainschwierigkeiten in etwas 7 Stunden gelöscht. Die ganze Bahn, die sich durch Sauberkeit und große Solidität auszeichnet, ist eine Lieferung des Herrn Bernhard Baare in Berlin, der das Material von dem Bochumer Verein für Bergbau und Guss-Stahlfabrikation herstellen ließ. Neben allen sonstigen dem Fachmann in die Augen fallenden Vorteilen der Bahn muss deren enorme Billigkeit, eine Folge der ungünstigen Eisenkonjunkturen, auffallen. Das Werk hat geliefert 15.000 Meter Gleise von Guss-Stahl, je 6 Meter auf getriebene Guss- Stahlschwellen montiert, dazu das ebenfalls durchaus aus Guss-Stahl gearbeitete rollende Material, Wagen für Lang- und Scheitholz, Personenwagen und Draisine für 60.000 Mark. Interessant ist das Legen der Bahn, das mit einer verblüffenden Geschwindigkeit aufgeführt wird und etwa den Eindruck eines in trockenes Gras laufenden Feuers macht. Die, wie gesagt, fertig montierten Schienenpaare werden flach auf den Bahnkörper gelegt, mit Schraubbolzen, durch in Schablonen gebohrte Schienen und Laschen verbunden und gleich darauf, oft noch vor der Verbindung, fahren die neues Material heranführenden Wagen darüber hin. Einige kurze, halblaute Kommandos, ein wenig Knirschen der abgeladenen Stahlteile, einige Hammerschläge, und es sind wieder 100 Meter Geleise in den Wald vorgeschoben. Es geht das Verlegen viel schneller, als das Herbeischaffen des Materials, das umso schwieriger wird, je weiter sich der Bau vom Bahnhof Linda entfernt. Die Mannschaften, die ihr Mittagessen und ihren Kaffee im Walde kochen, sind in dem Dorfe Mügeln einquartiert. Es gewährt ein freundliches Bild, die Mannschaft um die noch dampfenden Kessel gelagert zu sehen, und ihre frischen, fröhlichen Lieder durch die Säulen des Waldes-Domes hallen zu hören.

Die Waldbahn Linda-Seyda ist ein neues Verdienst des um die Forstkultur und Melioration so hoch verdienten Oberforstmeisters Müller in Merseburg, dessen Initiative u.a. auch die Arbeiterkolonie Seyda ihr Dasein verdankt. Auf seine Veranlassung hat auch der Staat neuerdings 3.000 Morgen Oedland von den Gemeinden Arnsdorf und Cöpernick billig erworben, und diese ganzen 3.000 Morgen, die erst im März diesen Jahres in den Besitz des Staates übergegangen, sind, ein Forstkulturstück ohne gleichen, bereits jetzt durch Herrn Oberförster Hense vollständig aufgeforstet und mit mehr als einer Million Bäumchen bepflanzt. Die Waldbahn durchschneidet nun den 25.000 Morgen großen Forst 11 ½ Kilometer lang so, dass sämtliche Beläufe desselben an der Bahn münden und die Holzschläge in den Beläufen leicht mit den vorhandenen 3 ½ Kilometer beweglichen Schienen mit der Hauptbahn verbunden werden können.

Die Bahn beginnt auf dem Bahnhof Linda, geht unmittelbar an der Oberförsterei Glücksburg vorbei und mündet auf einem Lagerplatz in unmittelbarer Nachbarschaft der Arbeiterkolonie Seyda.

Durch die Bahn müssen die enormen Holzsätze des kolossalen Forstes außerordentlich an Wert gewinnen, und wie befruchtend sie in ihrem Entstehen schon auf die Industrie wirkt, dürfte die Tatsache beweisen, dass in Linda zu der dort bereits bestehenden Dampfschneidemühle der Bau einer zweiten geplant ist. Zwei dicht an der Mündung der Bahn in Seyda stehende Dampfschneidemühlen werden durch dieselbe gleichfalls einen neuen frischen Aufschwung nehmen, und damit zahlreichen Arbeitern Gelegenheit zu lohnendem Verdienst geben.“

(Die Waldbahn in der Seydaer Heide und das Dampfsägewerk, In: Heimatbote vom 10. Juni 1927, In: Seyda und Umgebung:  Heimatgeschichte(n) aufgeschrieben von Bärbel Schiepel, Seyda 2001, 115-119.).

 

Der Oberförster zu Glücksburg hatte nach mündlicher Überlieferung auch eine Draisine, auf der man sich mittels Muskelkraft auf den Schienen gut und schnell fortbewegen konnte. So kam er des öfteren von Glücksburg am Sonntagnachmittag zum Kaffee nach Seyda. In dieser Zeit durften dann die Seydaer Jungförster mit dieser Draisine fahren...

 

Die Waldbahn war bis zur Errichtung eines Bombenplatzes in der Mitte der Heide ab 1936 intakt. Sie wurde nach und nach bis zum Dezember 1938 demontiert. Heute erinnert ein 1999 durch den Heimatverein „Glücksburger Heide“ aufgestelltes Denkmal an der Dahmschen Straße an die alte Waldbahn, die von Pferden gezogen wurde. Der Jessener Holzbildhauer Klaus Kuhrmann gestaltete dazu Holzpferde aus Eiche.

(Schiepel, aaO 119.).

 

12. Leben mit der Heide: Maien, Holz und Heidelbeeren

„Schmückt das Fest mit Maien“ – so wird es Jahr für Jahr zu Pfingsten in den Kirchen gesungen (Evangelisches Gesangbuch Nr. 135). Martin Luther, der ja auch in unserer Gegend zu Hause war, übersetzte den dazugehörigen Vers aus dem Psalm 118 so: „Schmückt das Fest mit Maien bis an die Hörner des Altars!“.

Und so geschieht es denn auch nach alter Tradition: Maien sind Birken, und die waren und sind immer reichlich in der Heide zu finden gewesen, aber wohl nie so zahlreich wie heute. Auch an die Tore und Hoftüren in den Dörfern ringsherum wurden Birken angebracht; besonders kräftig ist diese Tradition noch heute in Morxdorf, aber sie ist auch in den alten Bauerndörfern Naundorf und Gadegast zu finden. In Seyda ist sie ein wenig auf das Heimatfest im Juni übergegangen, wohl, weil die Stadt dann mit Lieferungen von Birken nachhilft.

 

Erst seit einigen Jahren gibt es in Seyda die Tradition, einen Maibaum aufzustellen, mit einer Birke an der Spitze.

 

 

In den 90iger Jahren entwickelte sich eine besondere ökumenische Beziehung: die katholische Kuratie in Elster bekam zu Fronleichnam vom Pfarrer in Seyda Birken aus der Heide, und die Seydaer evangelische Gemeinde im Gegenzug dafür Weihnachtsbäume aus dem Gelände der katholischen Kirche in Elster.

 

Wie intensiv die Heide über die Brauchtumspflege hinaus genutzt wurde und wird, ist bereits angedeutet worden: Nicht nur in  Linda und Seyda, sondern auch in Morxdorf und Mügeln arbeiteten Sägewerke. Es galt – preußisch – über ein Jahrhundert die strenge Regel, dass nur soviel abgeholzt werden durfte, wie auch wieder aufgeforstet wurde. Dies ist eine Art des Wirtschaftens, die einen sehr langen Atem braucht und nur durch eine zentralistische Staatsmacht realisiert werden kann. Aber sie hat dem Wald sicher gut getan. Wurde mehr Holz gebraucht, so kaufte man es schon damals in Polen oder auf anderen Märkten.

 

Verschiedene Institutionen wie auch die Kirchen und die Schulen wurden in früherer Zeit durch den kursächsischen wie auch den preußischen Staat durch zugeteilte Nutzungsrechte für Brennholz, Wiesen usw. erhalten. Damit war der Pfarrer oder Lehrer selbst damit beschäftigt, für die Kassierung entsprechender Pachten Sorge zu tragen, denn sie gehörten zum Lebensunterhalt.

So kann man in den Akten der ehemaligen Oberförsterei Seyda 1837 die „Berechtigten“ lesen:

„Frei zum Selbsthieb“: Bürgerschaft in Seyda (ein altes Recht zum Beispiel seit 1704, „zur Erhaltung der Gehege und Ausbesserung der Dämme, Wege und Stege“;  Elstermühle in Jessen (seit 1697, „zur Unterhaltung der Mühlenwerke“); Mühle in Mühlberg.

 

„Gegen Zahlung des Schlägerlohnes“: Superintendent Camenz in Seyda (seit 1730), Superintendent in Jessen (seit 1794), Diaconus in Jessen (seit 1794), Loesersche Vorwerk in Schweinitz (1684), Rent- und Domänenbeamter Oberamtmann Markwordt in Schweinitz, Elstermühle.

„Zum Selbsthieb gegen Zahlung von Accidentien und Stammgeld“: Naundorf, Kurzlipsdorf, Seehausen, Gölsdorf (alle seit 1787), Oehna, Kanzleilehngut in Oehna, Prediger in Gadegast (seit 1575), Prediger in Seehausen, in Kurzlipsdorf, in Oehna, in Eckmannsdorf (seit 1575), in Blönsdorf, in Mügeln, Schullehrer in Mügeln.

„Gegen Zahlung des Schlägerlohnes und von Accidentien“:

Kantor in Seyda („seit 1830 statt der früheren vier Gnadenbäume“), Oberpfarrer in Schweinitz („seit 1823 statt der früheren zwei Gnadenbäume“), Diaconus in Seyda („seit 1835 statt der früheren 3 Gnadenbäume“).

„Abgabe auf unbestimmte Quantität“: Elstermühle (seit 1667), für königliche Bauten (Außenrevier Elbeheger); Seyda, Mellnitz und Morxdorf („Raff- und Leseholz, Seyda auch Kienholz zu Leuchtzwecken; Leseholz darf nicht während der Brunft- und Setzzeit geholt werden“); Gadegast, Gentha, Görsdorf, Mellnitz, Morxdorf, Schadewalde, Oehna, Seyda, Zemnick („das zur Erhaltung der Brücken und Stege in ihren Fluren nötige Bauholz“), Oberförster Lüdecke, Förster Schneider in Glücksburg, Förster Abeßer in Seyda, Hilfsförster Rösler in Seyda. „Der jährliche Verlust gegenüber der Taxe betrug wegen dieser Abgaben 1663 Taler, 24 Silbergroschen und  2 Pfennige (nach dem Etat 1838 – 1841).“ (Elstermann aaO, Anlage 6.).

 

Eigentum der Oberpfarre Seyda war einmal ganz Mark Zwuschen. Wie man aus den alten Akten, die in Merseburg liegen, ersehen kann, wurde am Beginn des 19. Jahrhunderts dort eine Abholzung – vielleicht auch infolge von Windbruch – vorgenommen, das Holz verkauft und neues Acker- und Weideland gewonnen. Ein „Zwuschenrichter“ wurde eingesetzt, der jährlich die Verpachtung auszuhandeln hatte. Dies geschah im „Roten Hirsch“ in Seyda, auf dem Markt, bei einem Glas Rotwein. Es gab jedoch große Probleme, denn die Pächter waren oft nicht willig, den Pachtpreis auch tatsächlich zu bezahlen. Sie begründeten das mit dem großen Aufwand, den der Weg von Seyda bis zur Mark Zwuschen für sie bedeutete. Es blieb dem Superintendenten nicht viel anderes übrig, als gegen diese Pächter (seine eigenen Gemeindeglieder) zu prozessieren. Wenn er auch einen großen Prozess gewann, so gab es doch immer wieder Schwierigkeiten. Dies führte dazu, dass die gesamte Mark Zwuschen 1908 für 108.000 Reichsmark verkauft wurde. Seitdem haben in Mark Zwuschen verschiedene Gutsbesitzer gewohnt und gearbeitet, der letzte (und die längste Zeit anwesende) war Herr Norte, der dann 1945 von den Russen bei Schlieben erschossen sein soll, nach anderen Berichten ist er in einem sowjetischen Internierungslager in Ketschendorf, Lieberose oder Mühlberg umgekommen.

Die Kirchengemeinde legte das viele Geld von dem Verkauf der Mark Zwuschen in Wertpapieren an. Sie sind alle in der Inflationszeit wertlos geworden. Seitdem mussten direkte Beiträge von den Gemeindegliedern zur Erhaltung der Kirche und der Bezahlung der kirchlichen Mitarbeiter erbeten werden. Das war bisher nicht üblich gewesen. So kommt es in den zwanziger Jahren zu den ersten Kirchenaustritten in Seyda.

 

Mehr als abgeholzt wurde aber im 19. Jahrhundert durch die planmäßige preußische Forstwirtschaft aufgeforstet, neu angepflanzt. So wurde um 1880 der Wald deutlich vergrößert durch die Aufforstung der Flächen Richtung Jessen. Früher war die Grenze der Heide etwa auf einer Linie in der Höhe Gentha – Mügeln. Nun wurde die Diest-Höhe und das umliegende Gebiet bepflanzt. (Ein älterer Mann, aus Jessen gebürtig, erinnert sich, dass seine Großmutter daran mitgewirkt hat.)

Auch in Richtung Linda gab es um 1900 Aufforstungen, die „Lindaer Heide“, die sich im Osten anschließt, vergrößerte sich. (Vgl.: „Kleine Geschichte der Kirche in Linda und Neuerstadt“, Seyda 2000, 24.).

 

Einen großen Reichtum hat die Heide auch an Beeren und Pilzen. Heute wie damals sind Scharen von Sammlern zu gegebener Zeit unterwegs. Noch viel größer war ihre Zahl in Zeiten, in denen es größere Not gerade bei der Versorgung mit Lebensmitteln gab. Alte Leute können sich erinnern, wie sich noch in den 30iger Jahren im Sommer früh bei Sonnenaufgang – gegen 4 Uhr – viele Sammler, von Zahna und Elster kommend, mit ihren Blechkannen am Fahrrad oder am Wagen klappernd, in die Heide aufmachten.

Auch für die Schulkinder war es selbstverständlich, sich nach der Schule ein paar Pfennige durch das Sammeln von Beeren zu verdienen – mit einem kleinen Topf, barfuss, zog man los, für 2 Pfund gab´s dann 40 Pfennig, ein Kapital, was man bei den vielen Geschäften, die es damals in Seyda gab (Kolonialwarenläden, Drogerien, Tankstellen...), gut umsetzen konnte. Eine Banane zum Beispiel – die man vor dem Krieg in Seyda durchaus kaufen konnte, kostete einen Groschen (10 Pfennig).

Zum Sammeln der Beeren musste man freilich einen Bezugsschein vom Förster haben, und eine „Reffel“ war nicht erlaubt – also ein schaufelförmiger Holzkamm mit großen Zinken – denn er trug den Pflanzen Schaden zu, insbesondere reißt er auch die grünen Beeren ab.

Noch in DDR-Zeiten konnte man für einen Wassereimer Heidelbeeren 80 Mark erhalten; auch russische Soldatenfrauen suchten fleißig, im Sperrgebiet, und manche Heidelbeere ist bis nach West-Berlin gekommen, da wurde sie zu West-Geld gemacht.

Die Heide brachte natürlich wie auch heute noch viele Pilze, und Brennholz. „Kawel“ nannte man das Reisigpaket für den Backofen, vielleicht von „kawal“ polnisch/wendisch „das Stück“ ; alte Leute kennen noch die Kunst des Besenbindens aus Reisig; auch Kienäppel und Nadeln wurden verheizt und gaben gute Wärme.

 

Die Verbindungen quer durch die Heide wurden natürlich früher rege genutzt. Viele familiäre Bindungen gab es  zwischen Mügeln, Seyda und Morxdorf – bis das „Sperrgebiet“ dann trennte und einen großen Umweg notwendig machte.

So war viel Verkehr in der Heide: Der Bankweg ist beispielsweise eine beliebte Abkürzung nach Mügeln gewesen (von der Dahmschen Straße, wenn man aus dem Wald kommt nach rechts). Auf ihm waren viele Hundewagen aus Mügeln unterwegs nach Seyda, um hier Kälber und andere Tiere einzukaufen.

Noch in den 50iger Jahren war rechts neben der Dahmschen Straße – jedenfalls bis zum Wachtposten – ein Radweg für zwei Räder. Nur der Oberförster aus Mügeln durfte vor dem Krieg durch die Heide mit seiner Kutsche fahren. Er kam auch manchmal mit der Draisine, doch darüber wurde schon berichtet.

 

13. Wilddieberei und Förstermörder

Kein geringerer als der Kriminaldirektor Otto Busdorf, der 1928 das Standardwerk zu diesem Thema unter diesem Titel geschrieben hat, was durch die Jahrzehnte immer wieder aufgelegt und ergänzt worden ist – dieser Kriminaldirektor hat sich auch mit einem spektakulären Mord an einem Forstgehilfen in der Seydaer Heide beschäftigt. Allerdings ist seine Beschreibung nur in der 1. Auflage seines Werkes zu lesen:

„Der Forstgehilfe Sterz hatte sich am 8. Mai 1921, vormittags 2 Uhr, auf Wilddiebpatrouille begeben und war nicht zurückgekehrt. Man fand ihn erst anderen Tags erschossen auf einem Gestell. Unweit von ihm lagen seine Tabakspfeife, sein Hut und sein Karabiner, in welchem 3 scharfe Patronen und eine abgeschossene Hülse vorgefunden wurde. Eine abgeschossene Hülse lag auf der Erde. Der Beamte hatte also zweimal aus dem Gewehr geschossen. Er lag quer über dem Gestell, mit den Füßen an den Wagenspuren, mit dem Kopf nach dem Bestand zu. In der rechten Hand lag die Dreysepistole (Kaliber 7,65 mm) des Toten. Die Pistole war ausgeschossen, die letzte abgeschossene Hülse hatte sich als Ladehemmung festgeklemmt. Wie oft der Tote geschossen hatte, war nicht festgestellt worden, weil Patronenhülsen am Tatort nicht gefunden worden waren; aus welchem Grunde entzieht sich meiner Kenntnis. Eine seiner abgeschossenen Kugeln hatte einige Meter vor ihm drei Kiefernstangen angeschlagen. Der tödliche Schuss war in die linke Schläfe eingedrungen. Die Ärzte fanden eine Pistolenkugel, Kaliber 7,65 mm, mit 4 Zugeindrücken, stark demoliert, in dem linken Schläfenbein als Steckschuss vor.

Als ich vier Wochen nach dem Tode des Beamten auf Anforderung der Staatsanwaltschaft die Bearbeitung der Sache übernahm, entdeckte ich auf der Tatortphotographie mit der Lupe unter den Füßen des Toten kurze Schleifspuren. Die Spuren waren am Tatort selbst nicht bemerkt worden. Die bei tiefstehender Sonne aufgenommene Photographie zeigte diese Spuren aber ziemlich deutlich. Ebenso war auf dem Bilde zu sehen, dass die Pistole eigentümlich in der Hand des Toten lag. Letzteres klärte sich bald auf. Ein Kollege des Erschossenen hatte die Pistole gesichert, damit beim Abtransport der Leiche und Sicherstellung seiner Sachen sich niemand mit der Pistole verletzte. Dann hatte er dem Toten die Pistole wieder in die Hand gelegt. Allerdings nicht so, wie sie ursprünglich gelegen hatte! Der Tatort war also nicht unverändert geblieben, und die Photographie bewies das. Meine Nachforschungen ergaben ferner, dass die Leiche beraubt worden war. Man hatte dem Toten unter die Arme gefasst, wie die Rockfalten auf dem Lichtbild zeigten, und an den Bestand herangezogen, damit auf dem übersichtlichen Gestell das Berauben der Leiche nicht beobachtet werden konnte. Der Wert der Lichtbildaufnahme des veränderten Tatortes wird wohl durch diese beiden, lediglich an Hand des vorhandenen Lichtbildes gemachten wichtigen Feststellungen genügend beleuchtet, zumal es bei dieser Sache von vornherein darauf ankam, festzustellen, ob Mord oder Selbstmord vorlag. Zur Aufklärung dieses eigenartigen Mordfalles wurden schließlich auch zwei bekannte „Hellseherinnen“ herangezogen. Obwohl die Frauen von den Vorfällen nicht die geringste Kenntnisse haben konnten, beschrieben sie sowohl den Ermordeten mit allen seinen körperlichen Eigenheiten usw. auf das genaueste, beschrieben den Weg, den er bis zur Mordstelle genommen hatte, nannten die Inschrift des Wegweisers, an dem er vorbeigehen musste und die Nummern der Jagensteine, die in der Nähe der Mordstelle standen. Den Vorgang bei Erschießung des Forstgehilfen schilderten sie ebenfalls glaubhaft, sowohl vom Standpunkt des Ermordeten, als auch von der Stelle aus, wo die beiden Wilddiebe in der Deckung gestanden, auf den Beamten geschossen und ihn dann beraubt hatten. Außer der Brieftasche sollten sie dem Toten einen goldenen Kettenring geraubt haben.

Als ich später zwei bekannte Wilderer festnahm, gestand die 13jährige Tochter des einen, kurz nach der Ermordung des Forstbeamten vom Vater einen derartigen Ring geschenkt erhalten zu haben. Bei der Durchsuchung der Wohnung fanden wir im Vertiko zwischen der Wäsche versteckt eine Pistole 7,65 mm, in deren Magazin sich noch 3 Patronen befanden, die die gleichen messingfarbenen Kugeln hatten, wie die im Kopf des Toten vorgefundene. Die Kriminaltechnik war damals leider noch nicht so weit entwickelt, dass der Nachweis geführt werden konnte, dass die tödliche Kugel aus dieser Waffe abgefeuert worden war...

Der erwähnte Kettenring war nicht mehr im Besitz der Tochter des Verdächtigen. Über seinen Verbleib konnte weder sie noch eine der beiden „Hellseherinnen“ Angaben machen. Und damit fiel die ganze Sache. Die Angaben der „Hellseherinnen“ waren für das Gericht wertlos, und andere Beweismittel waren nicht vorhanden. So mussten die beiden Festgenommenen vom Untersuchungsrichter wieder entlassen werden, und der Mord an dem Forstgehilfen Sterz blieb ungesühnt.“ (Busdorf, Otto: Wilddieberei und Förstermörder, 1928; In: Schiepel, aaO, 63-65.).

 

Wilddieberei“ ist freilich ein Kapitel für sich. Wie wir schon gehört haben, war den einfachen Bürgern die Jagd über lange Zeit verwehrt gewesen. Die Herrschaften durften sie ausüben, Bauern und Bürger durften höchstens als Treiber mitwirken. Immer wieder wurde das als Unrecht und Unfreiheit, die Jagd als „altes Recht“ empfunden! So ist es ja sogar im „Sachsenspiegel“ verankert gewesen. „Doch mit dem Erstarken der fürstlichen Stände beanspruchten diese das Recht zur Jagdausübung mehr und mehr für sich. Wie in anderen Staaten galt die Jagd auch in Sachsen spätestens seit dem beginnenden 16. Jahrhundert als Privileg des Adels und erfreute sich in dessen Kreisen höchster Beliebtheit. Dabei spielte der Faktor der wehrtüchtigen Erziehung und sportlichen Übung eine nicht unwesentliche Rolle.“ (Hensel, Margitta: Die gebräuchlichsten Jagdmethoden in der Zeit vom 16. bis zum 18. Jahrhundert. In: Vom Jagen, aaO 29f.).

So gehörte zu den Forderungen der Revolution von 1848 die „freie Jagd“. Sie wurde natürlich immer wieder eingeschränkt: Wem der Wald gehörte, der bestimmte auch, wer Jagen darf. Die Förster hatten auch die Aufgabe, diese Besitzrechte zu bewahren und durchzusetzen. Deshalb kam es immer wieder zu solchen tragischen Ereignissen wie dem des Todes des Forstgehilfen Sterz.

Im Seydaer Kirchenbuch ist 1830 vermerkt, dass ein dreißigjähriger Maurerpolier aus Jüterbog in der Heide erschossen wurde – vermutlich war auch hier der Grund „Wilddieberei“.

Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges war die Not auch in der Versorgung mit Lebensmitteln besonders groß. Deshalb wuchs das Verlangen, sich im Wald selbst zu „versorgen“. Das Schießen waren die Männer noch aus dem Krieg gewöhnt. Außerdem hatte der Krieg auch zu einer großen Verrohung beigetragen: Was galt dort ein Menschenleben? All diese Aspekte sind bei diesem Fall auch mitzubedenken.

 

In Seyda wurde mündlich überliefert, dass sich ein Kriminalbeamter – nämlich Busdorf – als Förster getarnt im Schützenhaus einquartierte, jedoch bald auffiel durch seine Nachforschungen, vielleicht auch durch seinen Lebenswandel: denn welcher Förster kann sich auf Dauer schon eine solche Unterkunft leisten! Außerdem gab es familiäre Kontakte der Besitzer des Schützenhauses nach Berlin, die „zufällig“ mit Busdorf privat Karten spielten: So kam es rasch heraus, wer er wirklich war. Es wurde so gemacht, dass „aus Platzgründen“ ein junger Förster mit ihm auf einem Zimmer schlafen musste, der wohl auch in den Fall verwickelt war. So hoffte Busdorf auf Informationen, wenn er im Traum reden würde.

Es wird auch von den Hellseherinnen berichtet – ein Zeichen für den Zustand der Verhältnisse nach dem Krieg, dass man zu solchen Mitteln griff! Eine soll „gefaselt“ haben, eine hat dasselbe dann „gedeutet“. Diese Hellseherinnen stiegen in Linda aus dem Zug und ließen sich mit der Kutsche an die Stelle fahren, wo der Mord geschehen war. Dann bestimmten sie dem Kutscher die Richtung, in welche er fahren sollte, und ließen die Kutsche genau vor dem Haus halten, in dem einer der Verdächtigen wohnte. Dies galt vor Gericht natürlich (glücklicherweise!) nicht als Beweis. Die Hellseherinnen sollen freilich manches genau beschrieben haben: Das Fabrikat und die Klingel eines Fahrrades eines Verdächtigen, einen Mann mit Strohhut am Gartenzaun – das traf auch auf einen zu. Es konnte jedoch keinem – wie Busdorf ja schreibt – direkt etwas nachgewiesen werden, die Gruppe der Verdächtigen „hielt dicht“, so kam es zu keiner Verurteilung. Kurze Zeit später aber wanderte einer von ihnen nach Amerika aus – alle gingen nun davon aus, er sei es gewesen, und er wolle sich nun aus dem Staube machen. 1956 aber soll der Täter, vor dessen Haus tatsächlich damals die Kutsche mit der Hellseherin gehalten hatte, auf dem Sterbebett nach seinem Nachbarn verlangt haben, um ihm zu beichten, dass er es gewesen sei.

Was sagt man als Pfarrer zu dieser Geschichte? So sehr Skepsis gegenüber jemandem, der sich als Hellseherin ausgibt, angebracht ist, so ist es doch wohl so, dass es Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, die wir nicht erklären können. Auch das Böse hat eine große Macht. In der Bibel wird vor dem Umgang mit Hellseherei und dergleichen Dingen gewarnt aus der Erfahrung, dass dahinter tatsächlich Mächte stecken, die uns beherrschen wollen. „Wir sollen Gott über alle Dinge fürchten, lieben und vertrauen.“ mit diesen Worten legte Martin Luther das 1. Gebot aus.

Die Geschichte zeigt, wie drückend Schuld sein kann, und wie heilsam eine Beichte ist. Dazu ist die Kirche auch da: Dass man dort solche Lasten loswerden kann. Dafür starb Jesus am Kreuz.

 

Das Sterz-Denkmal befindet sich ca. 6 Kilometer vom Ortseingang Seyda entfernt. Den letzten Weg links vor der Heimateiche muss man einbiegen, dann sind es noch ca. 750 Meter. Es ist der „Jagen“ 129.

In den Zeiten, als die Sowjetarmee in der Heide übte, wurde auch das Denkmal zerstört. Der Stein jedoch ragte noch an einer Straße hervor, von Panzern angefahren. Der Förster  Hilse nutzte den Beginn einer längeren Feuerpause, von der er erfahren hatte, um keck mit seinem schweren Gerät in das abgesperrte Gebiet hineinzufahren und den Stein herauszuholen. Auch Förster Hübner war an der Rettung des Sterz-Denkmals beteiligt. Der Stein wurde nach der Wende durch  den  Heimatverein  restauriert  und  steht  heute

 

fast wieder an seinem alten Platz. Früher soll der Stein näher am Roten-Kreuz-Weg mit der Inschrift Richtung Westen gestanden haben.

Wo wurde Sterz eigentlich begraben? In den Kirchenbüchern von Seyda findet sich kein Eintrag.

 

14. Von Bomben und Flugzeugen

1936 begann die militärische Nutzung der Heide.

„Auf Befehl des Reichsluftfahrtministeriums wurde der Kahlschlag von ca. 220 Hektar Wald angeordnet. Dies war das Startzeichen zum Bau eines Bombenabwurfplatzes. Unter der Leitung der Firma Zucker aus Hohenleipisch wurden die Arbeiten von Forstarbeitern, Bauern und Angehörigen des Reichsarbeitsdienstes vorgenommen. Das eingeschlagene Holz wurde mit der im Jahre 1886 gebauten Waldbahn zum Bahnhof Linda transportiert und dort verladen. Am Rand des Kahlschlages baute man zwei Beobachtungstürme, die stark armiert waren und im November 1936 fertiggestellt wurden. Sie waren mit Telefonanschluß versehen und mit der Funkstelle der Försterei Mügeln verbunden. Im Dezember des Jahres 1936 begann die deutsche Luftwaffe mit ersten Bombenabwurfübungen auf dem hergerichteten Areal. Es wurde vorwiegend mit Betonbomben geübt. In einigen Bomben waren Glasröhrchen eingebracht, die mit einer Flüssigkeit gefüllt waren, welche in Verbindung mit Sauerstoff unterschiedliche Farben freigaben. Diese Farbzeichen sollten den Beobachtern auf den Türmen die Treffergenauigkeit signalisieren. Jahrelang, bis 1944, fielen tonnenweise Bomben auf die Glücksburger Heide. Ein Bordwaffenübungsplatz diente der Luftwaffe zur Bekämpfung von Bodenzielen.“ (Die Glücksburger Heide, aaO 8f.).

„Der gesamte Westteil des Forstamtes wurde zur Sperrzone erklärt, deren Betretung nur an übungsfreien Tagen gestattet war.“ (Elstermann aaO 36; Grundlagensammlung der Oberförsterei Glücksburg des StFB Jessen (unveröffentlicht), 1966.).

Die zwei Beobachtungstürme am Bombenabwurfplatz waren im Aufbau gleichmäßig zylindrisch und hatten einen Durchmesser etwa von 5 m; 12 m waren sie hoch. Nur oberhalb der Beobachtungsschlitze war die Spitze entsprechend ihrer Neigung schirmend um etwa ein Meter vorgezogen. Der Turmfuß lief in etwa ein Meter Höhe über dem Umgehungsniveau unter 45 Grad abgeschrägt in das Fundament über, was ringartig einen 2 Meter größeren Radius als der Turm hatte. Die Wanddicke des Turmes möge fast einen Meter gewesen sein... Der Beobachtungsraum hatte einen zur Platzseite gerichteten Beobachtungsschlitz von etwa 30 cm Höhe mit etwa 2,5 m Bogenlänge. An der Oberkante des Schlitzes lief eine Bogenschiene mit Gradeinteilung. Sonst war in dem Raum nur ein Telefon. Wenn ich mich recht erinnere, wurde im Stehen beobachtet. In der Regel war der Turm von zwei Beobachtern besetzt. Zur genaueren Trefferfeststellung der Bomben waren die beiden Türme an den Enden von sich zwei kreuzenden Koordinaten an der Peripherie des Platzes aufgestellt, einer am nördlichen Eintritt des Roten-Kreuz-Weges, der andere am östlichen Eintritt der Dahmschen Straße auf den Platz. Unter Angaben der Winkel zum Bombeneinschlag von beiden Türmen konnte man im Befehlsstand (wahrscheinlich Flugplatz Altes Lager) die Trefferlage ermitteln... Das Fundament des östlichen Turmes findet man noch jetzt einige hundert Meter zur Platzmitte hin (Kreuzung Roter-Kreuz-Weg/Dahmsche Straße).“ (Niendorf, Anmerkungen November 2006.).

Eine Anekdote aus den dreißiger Jahren, als die ersten Soldaten in die Heide einrückten, gehört bei einem Gemeindenachmittag in Ruhlsdorf 2006:

„Es war 1938. Soldaten waren in die Heide gekommen, übten schießen und warfen Bomben.

Ein Tischlerlehrling sollte einen Sarg durch die Heide in ein Dorf auf unserer Seite hier bringen. Als er mitten in der Heide war, kam ein starkes Gewitter, mit Blitz und Donner und starkem Regen. Der Junge, der nichts weiter zu seinem Schutze mit hatte, wusste sich zu helfen. Er öffnete den Sargdeckel und stieg in den Sarg. Es machte ihm nicht viel, er hatte ihn ja selbst mit gebaut und tagtäglich mit Särgen zu tun. Da lag er trocken und wollte abwarten, bis der Regen aufhörte.

Ein Melder vom Militär kam an die Stelle, wo der Sarg stand: mitten auf dem Roten Kreuz Weg, weil links und rechts dichte Schonung war. Er traute seinen Augen nicht, es war ja auch ein starkes Unwetter im Gange mit Blitz und Donner: und plötzlich: Ein Sarg, mitten auf dem Weg. Der Mann rannte zu seiner Meldestelle und erstatte seinem Vorgesetzten Meldung: „Ein Sarg, mitten auf dem Weg!“ Der nahm ihn nicht ernst und drohte ihm, er solle die Scherze lassen, aber der Mann blieb bei seiner Meinung. „Ich gehe selbst hin und schaue nach, aber wehe, wenn es nicht stimmt, dann bekommst Du eine harte Strafe!“ So machte sich der Vorgesetzte auf den Weg. Das Gewitter hatte inzwischen etwas nachgelassen. Der Schreck fuhr ihm in die Glieder: tatsächlich, ein Sarg! Er trat näher heran.

Der Junge im Inneren merkte wohl, dass der Regen begann, aufzuhören. So hob sich der Sargdeckel. Der Mann blieb versteinert stehen. Eine Hand kam heraus, und eine hohe Stimme fragte: „Regnet es noch?“ (Mündlich erzählt von Manfred Börner, Ruhlsdorf.).

 

Viele Folgen hatte der Einzug der Armee in die Heide: Die Verkehrswege wurden unterbrochen, Familien getrennt, Handels- und Geschäftsbeziehungen erschwert; die landwirtschaftliche und forstwirtschaftliche Nutzung stark eingeschränkt. Die Alten berichten auch, dass vor 1936 kein Gewitter über die Heide gekommen sei, wegen der großen, mächtigen Bäume.

 

1937 wurde zuerst das Zielpunktabwerfen von Zementbomben geübt, dazu soll es einen spitzen Bunker an der Heimateiche gegeben haben. Dort saß einer drin und meldete die Treffer nach Jüterbog zum großen Flugplatz, wo die Maschinen starteten. Für Notfälle gab es zunächst eine kleine Landebahn in der Heide.

Die Stukas („Sturzkampfflieger“) waren von den Wiesen ringsherum gut zu sehen; sie sollen immer 12 Bomben abgeworfen haben.

An anderer Stelle wurde das Maschinengewehrschießen auf Scheiben vom Flugzeug aus geübt.

 

Die deutschen Armeen überfielen fast ganz Europa und brachten unsägliches Leid über viele Völker. In unserer Heide wurde der Bombenkrieg geübt, der so viel Leid brachte.

Auch die Landung der Fallschirmspringer auf Kreta soll bei uns vorbereitet worden sein. Die Flugzeuge kamen damals vom Flughafen Lennewitz bei Falkenberg; die Bewohner der umliegenden Orte konnten das „Schauspiel“ mit ansehen – und erinnerten sich wenige Tage später daran, als wieder ein Land überfallen worden war.

 

Im Jahre 1944 wurde der Feldflugplatz Glücksburg hergerichtet. Er hatte die Form eines „T“.“ Es gab eine Nord-Süd und eine Ost-West Start- und Landebahn, die dafür benötigten Flächen wurden einplaniert. „Nach Fertigstellung des Platzes schlug man Schneisen in den Wald, in denen anschließend Kampf- und Jagdflugzeuge abgestellt wurden.

Am 12. April 1945 nahm das Jagdgeschwader 4 den Flugplatz in Besitz. Von hier aus starteten die Piloten zu Kampfeinsätzen in Richtung Ost- und Westfront.“ Die Nutzung des Platzes erfolgte bis zu ihrem Abzug im April 1945 durch Jagdgeschwader (Kamikaze-Flieger). (Die Glücksburger Heide, aaO 8f. Einschub aus Schulze, Martin u.a. (RANA – Büro für Ökologie und Naturschutz Frank Meyer, Halle): Endbericht 2005 zum Forschungsbericht Erhaltung und Schutz von Zwergstrauchheiden auf ehemaligen Truppenübungsplätzen in Sachsen-Anhalt vor dem Hintergrund euroäischer Naturschutzbestimmungen (NATURA 2000). 12.).

In Mark Zwuschen wurde ein Feldflugplatz errichtet. Er bestand nordöstlich des heutigen Ortes aus einem Flugfeld, Baracken und Boxen für die Flugzeuge standen im Wald. Ganz in der Nähe gab es ja den großen Flughafen bei Jüterbog, mit 25 Kilometer Rollbahnen. Mark Zwuschen war ein Ausweichpunkt. Zum Beispiel wurden zeitweise Attrappen auf den großen Flugplatz gestellt, und die „echten“ Flieger kamen nach Mark Zwuschen und in andere kleinere Flugplätze – so sollten die feindlichen Bomber getäuscht werden.

 

In der Heide gibt es mehrere Absturzstellen von Flugzeugen, zwei davon sind besonders gekennzeichnet.

 

Ein viermotoriger englischer Bomber stürzte durch Abschuss im Juni 1944 südlich von Mark Zwuschen ab. Ein Augenzeuge berichtet: „Der Absturz war unweit des Flugplatzes zwischen dem am Südende des Flugplatzes vorbeiführenden Weges Oehna-Seyda und dem in einigen hundert Metern Entfernung südlich liegenden Waldrand, etwas auf Morxdorf zu. Als wir Jungens nach der Schule dorthin kamen, war von der Besatzung, ob tot oder gefangen genommen, nichts mehr zu sehen. Das Flugzeug war zertrümmert. Einige Neugierige wie wir waren noch zugegen. Was wir lediglich noch an Interessantem vorfanden, war MG (Maschinengewehr-) Munition und einige beheizbare Handschuhe der Besatzung, ansonsten weder Waffen noch andere für uns Jungen verlockende und brauchbare Gegenstände. Entweder war solches schon beräumt, oder schon von anderen mitgehen geheißen. Solches Flugzeug hatte sieben Mann Besatzung. Das Wrack lag in einem Roggenfeld, dessen Getreide schon am Reife-Erbleichen war, deshalb so Ende Juni (?).“ (Niendorf, 23. November 2006.).

Alle sieben Besatzungsmitglieder wurden beim Absturz getötet, danach in Morxdorf beigesetzt und nach dem Krieg 1947 von den Engländern exhumiert und heimgeholt.

 

Im März 1945 wurde von Morxdorf aus ein deutscher Jagdflieger beobachtet, der sich einem alliierten Bomberverband mit ca. 800 Flugzeugen allein entgegenstellte. Diese Bomberverbände waren unterwegs nach Berlin. Der einzelne Flieger hatte keine Chance, er wurde sofort abgeschossen. Sein Flugzeug ging in der Heide nieder. An der Einsturzstelle wurde ein Krater aufgerissen. Das Gelände wurde abgesperrt und „oberflächenberäumt“, aber es blieb nicht viel Zeit: die Front drängte heran.

Den Morxdorfern war der Ort in der Heide durch die Zeiten bekannt, wenn er auch zuwuchs. Erst nach der Wende wurde eine Ausgrabung vorgenommen. Man fand die Reste des Flugzeuges, eine Me 109 – und darin den Piloten. Er wurde auf dem Friedhof in Morxdorf 2002 beerdigt. Am 1. September 2006 wurde ihm ein Kreuz gesetzt. In der Heide erinnert ein Gedenkstein an den Absturz, dort fand im Jahr 2002 eine Andacht statt, in der aller Gefallenen und Kriegsopfer der Gemeinde Morxdorf gedacht wurde.

Der Gedenkstein befindet sich östlich von Morxdorf, wenn man den Ort am Pool Richtung Wald verlässt, immer gerade aus geht über den Weg Seyda – Mark Zwuschen, dann noch 400 Meter links sind zwei Hinweisschilder, denen man ca. 100 Meter folgen muss. – Nach neusten Recherchen könnte es sich bei den Flieger um Heinz Otto handeln, geboren am 6.1.1920 in Lützkewitz bei Profen. Ein damals 11jähriger Gadegaster erlebte die Einquartierung eines Jagdfliegers in diesen Tagen, der an dem Tag nicht zurückkehrte, als das Unglück geschah. Sein Name war Otto Heinz oder Heinz Otto aus Erfurt. Im Oktober 2006 wurden 79 Briefe nach Erfurt geschickt, an alle Familien Heinz und Otto. Die Suche ergab, dass es nur einen Heinz Otto gibt, der seit 1937 in Erfurt lebte und sich dann zur Wehrmacht abmeldete. Nach einem Schreiben der Gemeindekirchenratsvorsitzenden aus Profen mit dem Ortsteil Lützkewitz galt der einzige Sohn seiner Eltern als vermisst. „Die Mutter hatte wohl zu seinem Gedächtnis ein kleines Grab zu Hause angelegt.“

 

Der Heimatverein „Glücksburger Heide“ brachte eine Gedenktafel an, auf der ein „Luftkampf“ über Mark Zwuschen beschrieben ist: „Am 17. April 1945 rettete mir Oberfeldwebel Fritz Zarske das Leben. Das geschah in Mark Zwuschen beim Landeanflug. Ich hatte schon das Fahrwerk ausgefahren, als sich eine Thunderbolt hinter mich setzte und schoss. Oberfeldwebel Zarske schoss den Ami ab. Eine P 47 kam hinter Zarske und schoss ihn ab. Er versuchte noch einen Fallschirmabsprung, aber der Fallschirm öffnete sich nicht mehr, so dass Zarske tödlich verletzt wurde.“ (Hauptmann Günther Schwanecke im Buch „Sturmjäger J 64“ von Eric Mombeck, Tafel des Heimatvereins Glücksburger Heide.). Eine „Thunderbolt“ P-47 hatte ein Maschinengewehr mit 8 x 12,7 mm Geschossen und eine Bombenlast von 900 kg.

Fritz Zarske ist mit anderen, auch unbekannten Soldaten, auf dem Friedhof in Seyda beerdigt worden. An seinem Grab findet jedes Jahr zum Volkstrauertag ein Gedenken an die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft statt, gemeinsam verantwortet von Stadt und Kirche.

„Max Miller, ein junger Unteroffizier vom Tegernsee, stationiert auf dem Flugplatz Mark Zwuschen, kam bei einem Kampfeinsatz am 15. April 1945 über der Glücksburger Heide durch einen Aufschlagbrand um´s Leben. Damals galt er als vermisst. Am 1. Dezember 1993 stieß man bei Entmunitionierungsarbeiten, welche eine Spezialfirma durchführte, auf Wrackteile eines abgestürzten Flugzeuges und auf die noch sehr gut erhaltene Erkennungsmarke eines Luftwaffenangehörigen...“: Max Miller. Er wurde auf dem Friedhof in Mügeln beigesetzt. Ein Grabstein dort und eine Stele an dem Unglücksort in der Heide wurden aufgestellt. Intensive Suche führte zu einem Stiefbruder Max Millers, der bis dahin keine Nachricht hatte und dann im Jahr 2000 zu Besuch kam.“

(Die Glücksburger Heide – ein Kleinod inmitten der Natur. Ein wunderbares Areal mit historischer Vergangenheit. Ein Wanderführer, herausgegeben vom Heimatverein Glücksburger Heide e.V. Jessen, o.J.).

 

„Ab 12. April 1945 kam unsere Gegend in den Aktionsradius amerikanischer Jagdbomber, von den Deutschen „Jabos“ genannt. An diesem Tag, so gegen 12.30 Uhr am Mittag, erlangten sie mit einem verheerenden Angriff von 12 Jagdbombern „Thunderbolt“, Typ P-47, auf den Flugplatz Jüterbog-Damm die Luftherrschaft über unsere Gegend. Bei diesem Angriff wurde auch ein Eisenbahn-Militärtransport angegriffen, wobei beide ziehenden Loks zerschossen worden sind. Auf dem Flugplatz Damm wurden viele abgestellte Flugzeuge zerschossen und ein Munitionszug, der auf den Flugplatzgleisen stand, zur Explosion gebracht (wie auch in Elster – T.M.). Die P-47 war mit sechs überschweren Maschinengewehren, Kaliber 12,7 mm, als Regel bewaffnet, sie konnte auch mehrere leichte Bomben zuladen. In den Tagen vom 12. bis zum 20. April, dem Russeneinmarsch in Jüterbog, waren die „Jabos“ tagsüber am Himmel nicht wegzudenken, griffen Flugplätze und Bahnlinien an, hielten so die „Wehrmacht“ nieder und ebneten den Russen den Weg. Selbst am Abend des 20. April gegen 17.30 Uhr wurde der Flugplatz Mark-Zwuschen noch sechs „Thunderbolts“ P-47 angegriffen. Durch Bombenangriffe wurden am 17. April der Bahnhofknotenpunkt Falkenberg und am 18. April der von Jüterbog zerstört. Auf den Bahnhof Jüterbog mit den Kasernen „Fuchsberge“ fielen 288 Bomben a 500 kg.“  - „In den Tagen der Jabo-Luftherrschaft, es könnte der 15. oder 16. April gewesen sein, gab es bei Glücksburg einen großen Waldbrand, den ersten großen, den ich gesehen und erlebt habe. Um Haaresbreite fielen diesem fast die Häuser von Glücksburg zum Opfer. Er entstand wohl dadurch, dass die Amerikaner deutsche Militäransammlungen im dortigen Wald vermuteten und die Jabos dort mit Leuchtspur- und Brandmunition hineingeschossen haben. Der Brand war östlich der Straße Oehna-Mügeln. Auf der Heimfahrt mit dem Fahrrad mit mehreren Gleichaltrigen sahen wir im Waldstück hinter der jetzigen Blumberg-Kiesgrube ebenfalls Rauch aufsteigen. Wir löschten dort einen Entstehungsbrand, in dessen Mitte wir ein ausgebranntes Geschoss fanden, allerdings so Kaliber 30 mm, also kein typisches Bordwaffengeschoss, vielleicht aus einer Sonderbewaffnung der Jabos.“ (Niendorf, Anmerkungen November 2006.). Bestätigend dazu: „Während des Krieges war das Gebiet auch Ziel alliierter Luftangriffe, wie Funde von Fragmentstücken entsprechender Bomben belegen.“ (Schulze, Endbericht aaO 12.).

Die Zivilbevölkerung der umliegenden Orte erlebte -  auch durch die Militärstützpunkte in der Heide – Fliegerangriffe, nicht erst in den letzten Kriegstagen. Schon vorher mussten die Schulkinder oft in die Kellerräume des Amtshauses fliehen. Angloamerikanische Bomberverbände waren zu sehen, sie flogen Einsätze nach Wittenberg, Berlin und Dresden.

Am 15. April 1945 fuhr ein deutsches Militärauto durch ein offenes Hoftor in ein Gehöft in Leipa, um feindlichen Fliegern zu entkommen. Daraufhin wurden in Leipa vier große Bauerngehöfte beschossen und etliche Gebäude zerstört, weil man wohl vermutete, dass dort deutsches Militär einquartiert wäre.

Es gibt noch ein weiteres deutsches Soldatengrab in der Heide, das liebevoll gepflegt wird, zum Beispiel am Totensonntag. Der Soldat wurde erst mehrere Wochen nach seinem Tod im Sommer 1945 gefunden, schon skelettiert und ohne Erkennungsmarke. Er ist an Ort und Stelle begraben worden; über seinen Tod gibt es nur Vermutungen: entweder wurde er von deutschen Einheiten ohne Papiere angetroffen und erschossen, oder er traf auf russische Soldaten.

 

So kam der Krieg in die Heide: Erst wurde er „geübt“, dann brachten die Bomben furchtbares Leid in ganz Europa, und am Ende wurde der Krieg grausame Realität für die Menschen hier. Auch für den Wald war die Zeit zwischen den Weltkriegen eine schlimme Zeit:

„Bereits während des 1. Weltkrieges kam es zu einer deutlichen Erhöhung des Holzeinschlages in der Oberförsterei Glücksburg. Dieser Trend setzte sich auch in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen fort; gerade die Notjahre nach dem 1. Weltkrieg führten zu einer verstärkten Nutzung von Stock- und Reisholz (VIII).

Trotzdem konnte die Qualität der Bestände gehoben werden. Im Jahre 1933 wurden von den Kiefern 2.114,8 ha als anerkanntes Saatgutbestände eingestuft (21). Diese Bestände nahmen etwa 40% der damaligen Holzbodenfläche der Oberförsterei Glücksburg ein... Wegen der nationalsozialistischen Rüstungspolitik stieg der Holzeinschlag erneut an... Der Einschlagsrückgang ab 1940 ist auf die sinkende Zahl der Arbeitskräfte zurückzuführen (VIII).“

(Elstermann aaO 35; VIII = Aus dem Archiv des Forstamtes Annaburg: Hauptmerkbuch Teil 1 Oberförsterei Glücksburg.).

 

15. Russen in der Heide

Am 22. April 1945 zog die Rote Armee in Seyda ein. Eine Augenzeugin berichtet:

„Um 6 Uhr kamen 6 Motorräder mit je 3 Mann Besatzung. Mit freundlichen Mienen lächelnden Blicks sausten sie durch Seyda, ohne auf Widerstand zu stoßen...

Um halb 12 aßen wir Mittag – noch nicht fertig, kamen die Russen mit Pferden, Autos und Wagen immer im Galopp, was die Pferde laufen konnten... Seyda wurde von den Russen förmlich überschwemmt. Wir wusste nicht mehr ein noch aus. Die Vorstadt rückte schon in die Stadt ein. Die Russen hatten die Leute alle aus ihren Wohnungen geworfen. Auf einmal hieß es, wir müssen auch raus.... Ich dachte und sagte: „Wir ziehen nach den Hedecken!“ Gesagt, getan. Auf dem Wege dorthin musste ich feststellen, dass schon viele Leute mit den Handwagen den Weg dort eingeschlagen hatten.

Inzwischen war es schon ganz dunkel. Dort angekommen, die Kinder schliefen warm in den Betten. Wir legten uns auf den blanken Waldboden. An Schlaf war natürlich nicht zu denken, es war zu kalt. Um 4 Uhr standen wir auf. Um 5 Uhr begann irgendwo ein Kampf. Man hörte Schießen, allerlei Geschütze, ganz schwere Artillerie, sodass die Erde zitterte. Es war unheimlich, denn es war nicht weit, vielleicht Elster, Wittenberg.

Die Vögel sangen wie im tiefsten Frieden, an die raue Wirklichkeit durfte man gar nicht denken. Dann kochte ich Kaffee in der Jagdhütte, der Tag war herrlich warm. Gegen Abend kam ein Gerücht, wir müssen den Wald verlassen, er wird beschossen...“

(Unser friedliches kleines Seyda in Kriegsnot, Tagebuchaufzeichnung von Alma Heinitz, in: Schiepel, aaO 40-42.).

So wurde auch im letzten Krieg die Heide ein Zufluchtsort, wie sie das immer war, wenn Kriegshandlungen in unmittelbarer Nähe stattfanden: auch im Dreißigjährigen Krieg und im Befreiungskrieg etwa.

In diesen Tagen sah die Heide schon sehr verwüstet aus: neben den Bombenkratern von den Übungen der deutschen Wehrmacht nun viel zerschossenes Militärmaterial, Autos, Panzer; tote Pferde mit aufgedunsenen Leibern, und natürlich menschliche Leichen, Soldaten und Zivilisten. Viele Flüchtlinge durchquerten die Heide, in verschiedenen Richtungen. Eine schlimme Zeit!

 

Zum Kriegsende 1945 hatten sich etwa 90 deutsche Soldaten im Wald bei Linda versteckt. Einer hatte wohl so großen Hunger, dass er am Abend auf Linda zulief. Das wurde gemeldet, alle wurden durch die Rote Armee aufgespürt und erschossen. Man hat sie in der Stille auf dem Friedhof in Linda begraben. Bis in die Heimat waren sie noch gekommen! Viele Frauen und Angehörige besuchten die Gräber, die Kirchengemeinde stellte später einen kleinen Gedenkstein an dieser Stelle auf, im Südosten des Friedhofs.

 

Am 20. April 1945 verließ das Jagdgeschwader den Feldflugplatz Glücksburg. Bevor am 22. April 1945 die Sowjetarmee das Gelände übernahm, entwickelte sich auf dem Flugplatz ein großer Waldbrand. Es ging von den Besetzern der Heide der Befehl an alle umliegenden Gemeinden, den Großbrand mit allen Mitteln zu löschen, welches nach vier Monaten auch gelang. Danach forstete man die Brandfläche, ca. 800 Hektar, wieder auf.“ (Die Glücksburger Heide, aaO 9.). „Ca. im Jahr 1947 fanden in der Südheide Wiederaufforstungen mit Kiefern statt.“  (Schulze, Endbericht aaO 12.).

 

Ein Augenzeuge sagt, 1945 konnte man deshalb von der Mügelner Straße fast bis nach Seyda durchschauen, weil so viel Baumbestand durch Brand vernichtet war.

 

Der Wald wurde wieder verstärkt genutzt, einfach, um den Hunger zu stillen, um sich Brennmaterial zu beschaffen, um Streu für die Tiere zu haben. Mehrere tausend entwurzelte Menschen waren in Seyda und den umliegenden Orten eingetroffen, am 11. August 1945 sind allein einhundert Menschen im Lager in der Jüterboger Straße registriert worden. Sie hatten die Heimat verloren, wurden nun, so gut es ging, „einquartiert“ in den Häusern, im Lager, in Notunterkünften, und versuchten sich und die ihren durchzuschlagen, zu überleben.

(Vgl. Neue Heimat Seyda. Eine Erinnerung an die Menschen, die durch den Krieg ihre Heimat verloren.  Seyda 2006.).

 

Mancher, der nun Großvater ist, wird als Junge in der Heide und auf den alten Flugplätzen gespielt haben. Es gab dort viel zu entdecken! Mit den Zusatz-Tanks, die der Erhöhung der Flugdauer durch mehr Treibstoffmitnahme dienten und nun als Schrott herumlagen, konnte man auf dem „Puhl“ oder bei Hochwasser wunderbar Kahn fahren, auch aus den alten Flugzeugscheiben ließ sich viel machen...

 

Zu einem tragischen Unglück in der Heide kam es 1946. Ein 40jähriger Mann aus Morxdorf ist bei Waldarbeiten auf eine Miene getreten und wurde getötet.

 

Die 48 Neubauern von Oehna bekamen Waldflächen im Norden der Heide zugewiesen (die gesamt Oehnaer Waldflur, dabei das alte Jänickendorf), die sie jedoch bald nicht mehr nutzen konnten, denn die Sowjetarmee übernahm das Gelände als Übungsgebiet.

 

Etwa in den Jahren 1948/49 erfolgte die Übernahme des Platzes durch die Westgruppe der Truppe (WGT), d.h. der sowjetischen Armee. Zunächst wurde der Platz weiterhin als Bombenabwurfplatz genutzt, in den 1950er Jahren fanden schließlich erste unregelmäßige Übungen (Infanterie, Schießübungen, Einsatz von LKW) statt. In dieser Zeit wurden auch erste unregelmäßige Panzerübungen (Panzerdivision Wittenberg, Jüterbog) durchgeführt, die stets nur wenige Tage dauerten. Vor Ort wurden keine Panzer stationiert. Erste Gebäude am Südrand der Heide wurden Ende der 1950er Jahre errichtet. 

Eine stärkere Nutzung als Artillerieschießplatz mit Panzerbetrieb erfolgte wohl ab Mitte der 1960er Jahre. Davon künden noch heute sichtbare Panzerfahrtrassen und Schießbahnen. Zum Zweck der Panzer-Schießübungen wurden auch Beobachtungstürme aus Metall an der Peripherie des Platzes errichtet, zusätzlich kleine Bunker. Bewegliche Ziele wurden mit Seilwinden in der Süd- und Nordheide installiert, daneben waren auch fest verankerte Ziele vorhanden.

Die Schussweite der Panzer reichte – entsprechend der Munitionsfunde – bis 2...2,5 km nach Norden. Die Ausgangsschießlinie befand sich südlich der Dahmschen Straße, Hauptschießrichtung war der Norden, weshalb die Kampfmittelbelastung im nördlichen Teil höher als im südlichen sein dürfte. Insgesamt dehnte die sowjetische Armee den Übungsbetrieb flächenmäßig weit aus. Die Nordgrenze des ehemaligen Übungsplatzes befand sich auf heutigem Brandenburger Territorium.“ (Schulze, Endbericht aaO 12.).

Die Rote Armee – später „Sowjetarmee“ - hatte zuerst nur den Bombenabwurfplatz weiter genutzt. Das Rollfeld wurde zunächst wieder aufgeforstet. „Mitte der sechziger Jahre“ wurde er „zu einem Panzer- und Infanterie-Übungsplatz umgewandelt. Er erreichte zum Ende eine Fläche von ca. 2.900 Hektar.“

Zum Vergleich: die alte landesherrliche Seydaer Heide hatte 2.200 Hektar. (Elstermann aaO 36; Die Glücksburger Heide aaO 8f.).

 

Der Flurname „Russenwinkel“ erinnert an diese Zeit. Dort steht jetzt eine Schutzhütte, die in „typisch russischer Bauweise“ gemauert worden ist: Stein auf Stein, ohne den aufgesetzten Stein ein Stück zu verschieben. Es ist ein original russisches Wachhäuschen; die große Heidefläche in der „Nordheide“ wurde als Hubschrauberlandeplatz genutzt, heute ist er das größte zusammenhängende Heidegebiet mit ganz viel Heidekraut.

Früher aber hatte dieser Ort einmal einen anderen Namen! Er hieß „Drei-Herren-Spitze“, denn an dieser Stelle unweit der Straße Mügeln – Oehna trafen sich die Flächen von Oehna, Mügeln (Blumberg) und des Königlichen bzw. Staats-Forstes. Die Landesgrenze zwischen Brandenburg und Sachsen-Anhalt formt deutlich dieses besonders nach Süden spitze Dreieck nach.

 

Ein Förster hat über seine Erlebnisse mit der Sowjetarmee in den Jahrzehnten seiner Dienstzeit in der Heide ein Buch mit seinen Erlebnissen geschrieben. Das militärische Übungsgebiet weitete sich immer weiter aus, es umfasste am Ende das Panzerübungsgebiet mit großem Schießplatz für Scharfschießübungen, einen Schießstand für Handfeuerwaffen und ein ausgedehnten Fahrschulrundkurs für Schwimmpanzer der Sowjetarmee.

Hentschel, Wilfried: Wald im Schatten einer Armee. Eine erschreckende Bilanz. Frankfurt/Main 1995. – Er berichtet auch aus einer Begehung mit russischen Offizieren und staatlichen Stellen, als es zur Errichtung einer Panzerübungsstrecke kommen sollte. „Wir hofften auf den Elbe-Elster-Biber als letzten stechenden Trumpf, dachte doch von den hohen Herren unserer Meinung nach keiner an das Naturschutzgebiet... Unserer diesbezüglichen Argumentation begegneten sie mit einer polemischen Gegenfrage: „Was ist wichtiger, die Erhaltung des Weltfriedens oder die paar Biber?“ Punkt, Schluss, Ende der Debatte!“ (aaO 45).

 

Immer wieder brachen Brände auf, da die russischen Soldaten oft Feuer machten und es nicht richtig löschten, und auch bei den militärischen Übungen leicht Waldbrände entstanden. Die deutsche Feuerwehr war dabei oft hilflos. Sie musste warten, bis die Flammen über die Grenze des Sperrgebietes loderten oder sie eine Erlaubnis bekamen, den Brand zu löschen.

 

Ein besonders schwerer Brand wütete 1982. Er erfasste eine Fläche von 350 ha. Durch den Funkenflug griff das Feuer rasch immer weiter um sich, von Baumkrone zu Baumkrone. Morxdorf stand kurz vor der Evakuierung. Glühende Nadeln flogen bis in das Dorf hinein! Jeder, der konnte, musste bei den Löscharbeiten zupacken. Mit großen Zweigen und mit Spaten sollte das Feuer „erschlagen“ werden.

Noch heute kann man am Morxdorfer Waldrand sehen, dass dort nur einzelne große Bäume stehen: Bis dahin ist das Feuer vorgedrungen. Der übrige Wald brannte ab, dort sind heute „Kuscheln“ („kuschi“ heißt auf wendisch „kurz“, eine Erinnerung an die Sprache der Menschen hier vor vielen hundert Jahren!). - Bis Naundorf sollen die Funken geflogen sein!

Im Revier Seyda gab es seit 1950 9 Katastrophenbrände. „Hinzu kamen unzählige Stellungen und Splitterschäden am Sperrgebietsrand.“

(Vgl. Elstermann aaO 38;  Berger, Heinz: Dokumentation zur Glücksburger Heide (unveröffentlichtes Manuskript), 1991.).

 

In Erinnerung sind noch die großen Explosionen, die aus der Heide bei größeren Manövern zu hören waren. Nicht selten krachte es besonders stark am Heiligen Abend, und die Heide war blutrot gefärbt von den Flammen – die Russen haben ja ihr Weihnachtsfest vierzehn Tage später. Der Seydaer Pfarrer Schaeper wagte es in den 80iger Jahren, eine Eingabe wegen des andauernden Fluglärms an den Rat des Kreises zu schreiben. Er bekam auch Antwort! Er solle doch die Nummern der Flugzeuge aufschreiben, man wolle der Sache nachgehen...

 

12 Millionen Liter Treibstoff sollen in der Heide gelagert worden sein. Es gab eine Pipeline von der Bahnstation in Elster nach Arnsdorf.

 

Über Jahrzehnte durfte die Heide (abgesehen von einigen Randflächen) nicht von „Unbefugten“, Nicht-Militärangehörigen betreten werden. Wachposten standen an den Zufahrtswegen. Auch ringsherum durch die Orte gingen Panzerwege und Panzerstraßen. Nicht selten konnten die Soldaten durch ihren schmalen Sehschlitz und manchmal auch durch beeinträchtigte Fahrtauglichkeit den Weg nicht gut erkennen; manche Mülltonne, mancher Gartenzaun wurde plattgemacht; von der Zerstörung der Wege ganz zu schweigen. Bisweilen auch fuhr ein Panzer jemandem direkt ins Schlafzimmer – schließlich hatte ein Panzerfahrer selbst bei geöffneter Luke nicht mehr als 15 Grad Sichtwinkel, hinzu kam Staub und Dreck der vorausfahrenden Panzer. Eine Dokumentation über die Schäden aber ahndete man schwer, in kürzester Zeit wurde repariert, und niemand durfte darüber sprechen. Die sowjetischen Soldaten galten als die „Freunde“, sie waren die Verbündeten, in der offiziellen politischen Sprache das „Brudervolk“. Jedoch waren persönliche Verbindungen zu den Soldaten kaum erwünscht. Freilich gab es – auch in der Morxdorfer Gaststätte – als Auszeichnung für besonders gute Russisch-Schüler geordnete Begegnungen mit sowjetischen „Komsomolzen“ – so hieß die kommunistische Jugendorganisation der Sowjetunion. Doch die einfachen Soldaten hatten keinen freien Ausgang, oft auch unzureichende Ernährung, so dass sie immer wieder  Mitleid erregten und ihnen heimlich etwas zugesteckt wurde. Besonders gegen Ende in den 80iger Jahren entwickelte sich aber auch ein reger Tauschhandel mit Benzin und mit Kohlen und anderen Waren, die in der DDR schwer zu haben waren.

Im „Russenmagazin“ („magasin“ heißt auf russisch „Laden“) in Jüterbog konnte man manches Besondere kaufen. Ein Mann von hier machte einmal einen besonderen Kauf: Einen echten orientalischen Teppich, zu einem Schnäppchenpreis. Er nahm ihn, ohne lange zu überlegen, sofort mit, um damit seine Frau zu überraschen. Als er ihn zu Hause ausrollte, war in der Mitte – ein Bildnis von Lenin.

 

Seit 1947 lernten die Seydaer Schüler Russisch in der Schule, mit wechselndem Erfolg. Wohl kaum jemand konnte sich richtig gut mit den sowjetischen Soldaten verständigen, wohl am ehesten noch diejenigen, die an der Ostfront bzw. in russischer Gefangenschaft gewesen waren. Die Seydaer Schule trägt den Namen eines sowjetischen Offiziers: Juri Gagarin, der freilich eine welthistorische Leistung vollbrachte.

 

An manchem Baum in der Heide, zum Beispiel im Buchhorst, kann man noch heute russische Monogramme und Herzen erkennen, die die meist sehr jungen Soldaten dort hineingeschnitzt haben. Auch einzelne russische Kreuze (erkennbar an den drei Querbalken: oben für die Aufschrift „Iesus Nazarenus Rex Iuedeorum“, unten als Symbol für die Auferstehung die geöffnete Grabplatte) sind Spuren russischen Soldatenlebens; allerdings wohl nicht für Verstorbene, sondern, wie Revierförster Hentschel schreibt, als Zeichen für „Entlassungskandidaten“: Name, Jahreszahl, Herkunftsort sind angefügt, auch Utensilien.

(Hentschel, aaO 133.).

 

Immerhin: Man konnte mit den Russen leben. Es konnte einem passieren, dass sie einen im „Sperrgebiet“, wie man die Heide weithin nannte, beim Pilzesuchen festnahmen. Das kostete dann oft einige Stunden Zeit. Aber es gab in den 80iger Jahren keine Bedrohung an Leib und Leben mehr.

Auf Menschen geschossen wurde nach dem Krieg nur noch sehr selten. Mir sind zwei Ereignisse bekannt:

Nach dem 17. Juni 1953 war Ausnahmezustand, der Leiter der Arbeiterkolonie, Gerhard Bloch, war mit seiner Frau  zu einer Feier bei Förster Richter (gegenüber) eingeladen. Sie überschritten die Sperrzeit, schlichen sich durch das Kartoffelfeld nach Hause. Die Russen entdeckten sie und schossen auf sie. (Einer muss uns aufnehmen – das hat Jesus gesagt: Der 17. Juni 1953 im Seydaer Pfarrhaus. Eine Recherche nach 50 Jahren; Seyda 2003.).

1970 war ein sowjetischer Soldat ausgebrochen, er erschoss in Seehausen zwei Frauen und wurde dann selbst erschossen. (Beschrieben in: Neugebauer, Fritz: Gott, der Mensch und das System. Erinnerungen eines Landpfarrers an die DDR-Zeit, Holzgerlingen 1999, 127f.).

Herr Niendorf ergänzt: „Solche Vorfälle gab es bei jedem größeren Manöver. Meistens waren es junge Soldaten, die wegen Heimweh und Schikanen ausbrachen. So auch in Marzahna, dort wurde ein LKW-Fahrer von solchen erschossen. Sie verkrochen sich danach in einer Strohmiete, die dann umstellt und von Schützenpanzern in Brand geschossen wurde. In Petkus hatte sich ein solche im Kühlraum einer gerade neu errichteten Kaufhalle verschanzt, nachdem er einen „Parlamentär“ erschossen hatte. Die Kaufhalle, mitten im Dorf gelegen, wurde ebenfalls von Schützenpanzern in Brand geschossen und zerstört. Bei Riesdorf wurde auch einer gefasst. Er hielt sich eine Handgranate vor die Brust... Die Ausgebrochenen und Gefassten wurden zumeist kurzerhand an Ort und Stelle erschossen. Wenn Deutsche in der Nähe waren, geschah das auf dem Kasernenhof.“

 

Am 22. November 1990 wurde die Heide von der Sowjetarmee geräumt. (Elstermann aaO 36; aus einer Dokumentation von Heinz Berger (unveröffentlichtes Manuskript), 1991.).

 

16. Eine blieb stehen

Die Wende 1990 kam für die meisten Menschen hier sehr überraschend. Es war nicht zu träumen gewesen, dass die große sowjetische Militärmacht ganz friedlich abziehen würde, nachdem durch Seyda 1945, aber auch 1953 (beim Arbeiteraufstand vom 17. Juni) und zuletzt 1968 (Prager Frühling) russische Militärwagen und Panzer zum Kampfeinsatz gerollt und ihre ganze Stärke gezeigt hatten. Für viele war es auch nicht vorstellbar, dass der „Sozialismus“, dem die Zukunft gehören sollte – „wissenschaftlich“ bewiesen – einfach so verschwinden könnte. Und fast undenkbar schien es, den Machtapparat des Staates, der alles fest in der Hand zu haben meinte, mit friedlichen Mitteln aufzulösen. Die meisten hatten sich in den Verhältnissen eingerichtet – auch mit den Russen in der Heide – jeder hatte ja genug zu essen, ein Dach über dem Kopf, und manche Annehmlichkeit gab es auch, wenn man sich nicht direkt mit der Staatsmacht anlegte.

Vermutlich wird weniger der Mut von Menschen in ihrem Streben nach Freiheit, sondern mehr der wirtschaftliche Zusammenbruch des Ostblocks zu den Veränderungen geführt haben. Dazu sehr beigetragen haben wird die militärische Aufrüstung, die enormen Kosten, die in Armeen und Panzer und Bomben und Raketen und Grenzsicherungen gesteckt worden waren. Das ganze Land war abgeriegelt, niemand sollte es illegal verlassen können: Das hatte seinen Preis.

 

Die Spuren der militärischen Nutzung durch die deutsche und die Sowjet-Armee sind bis heute in der Heide sichtbar. Weite Flächen waren 1990 verbrannt und öde. Hauptsächlich Birken und Krüppelkiefern versuchten zu überleben, wurden aber bis dahin sofort wieder durch Panzer niedergewalzt oder mit Bomben und Feuer vernichtet.

„Direkte Manövereinwirkungen, illegale Holznutzungen und die regelmäßig auftretenden Brände vernichteten die vorhandenen Bestände. Die als Sichtschutz belassenen Randjagen befinden sich in einem überwiegend schlechten Zustand (1992). An verschiedenen Stellen ist dem ehemaligen Kiefernbestand eine Vegetation aus Birken und Ginster gefolgt. Große Flächen wurden völlig entwaldet.“ (Elstermann aaO 37.).

 

Es ist tatsächlich ein Wunder, dass ein Baum inmitten des Infernos stehen geblieben ist, eine alte Eiche, etwa 200 Jahre alt, gespickt von Granatsplittern, verwundet im Stamm: aber im Sommer mit einer schönen grünen Krone. Um diesen Baum in der Mitte der Heide wurde ein schönes Areal geschaffen, zu Beginn der 90iger Jahre, ein umzäuntes Gebiet mit Ruheplätzen und der Markierung von Sträuchern und Bäumen.

Dieser „Heimatgarten“, etwa zwei Hektar groß, ist durch eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme der Öko-Tour-Sanierungsgesellschaft Seyda unter Leitung von Herrn Willy Richter aus Zemnick angelegt worden. (Schon seine Vorfahren hatten über viele Generationen in der Heide zu tun, so mussten sie das Wildbret nach den Jagden der Kurfürsten abtransportieren.)

 

Die „Heimateiche“ ist Symbol des Heimatvereins „Glücksburger Heide“. Jedes Jahr zum Fest Christi Himmelfahrt findet dort eine Andacht statt, zu der zahlreiche Menschen aus Nah und Fern kommen. Der Heimatvereinsvorsitzende eröffnet mit einer kurzen Ansprache, dann hält ein Vertreter der Kirche, meist der Propst zu Wittenberg, die Andacht. Der Schweinitz-Jessener Posaunenchor sorgt für die musikalische Begleitung.

Der Ort an sich ist schon sehr symbolträchtig. Jahr für Jahr kann man mit Freude sehen, wie grün die Heide wieder geworden ist, und das dort aufgestellte Bild, was an die Zeit um 1990 erinnert, erscheint immer unwirklicher. So wurde an dieser Stelle über Gottes Treue gepredigt, die dort handgreiflich vor Augen ist: Nach so viel Verwüstung und Gewalt, Brandschatzung und todbringenden Bomben ist nun doch die Heide wieder grün und friedlich.

Es kann wieder heil werden, was ganz zerstört war. Und es wird natürlich über den Himmel gesprochen, passend zum Feiertag. Propst Kasparick erinnerte an einen ähnlichen Baum, den er in dem früheren Stalingrad gesehen hat, und daran, dass der Himmel unteilbar ist. Superintendent Beuchel griff das Schicksal Juri Gagarins auf, der das Erlebnis, den blauen Planeten aus dem Weltall zu sehen, nicht verkraftet hat. Propst Hamel erzählte nach Sartre von Himmel und Hölle: dass der Himmel dort ist, wo Menschen einander beistehen und Hilfe erfahren.

 

Zu Beginn der 90iger Jahre begann mit dem Einsatz vieler Bundes- und Landesmittel die Entmunitionierung der Heide. Auf zehn Meter wurden die Bomben und ihre Fragmente ausgegraben, eine mühsame Arbeit, die noch lange nicht zu Ende ist, sondern aus Kostengründen eingestellt werden musste. So sind zwar die Hauptwege beräumt, aber für große Flächen ist das Betreten weiter lebensgefährlich und deshalb verboten. Zu größeren Unglücksfällen ist es jedoch nach der Wende - Gott sei Dank! – nicht gekommen.

„Infolge der Munitionsbelastung des Gebietes besteht ein noch heute allgemein gültiges Betretungsverbot. Die Fläche der Glücksburger Heide befindet sich im Ressortvermögen des Bundesministeriums für Finanzen als sog. „Allgemeines Grundvermögen (AGV)“. Die örtliche Liegenschaftsverwaltung oblag bisher dem Bundesvermögensamt Halle, jetzt Bundesanstalt für Immobilienaufgaben.

Eine Munitionsberäumung (Tiefenberäumung) erfolgte zwischen 12.10.1992 und 22.04.1994 im Auftrag des Bundesvermögensamtes unter anderem durch die Heinrich Luthe GmbH (Luckenwalde). Tiefenberäumt (6 m Tiefe) wurden jedoch nur wenige Flächen und Hauptwege, so z.B. der Fahrweg um den Hubschrauberlandeplatz und die Dahmsche Straße (Verbindungsweg Seyda-Mügeln). Auch der Bereich des Heimatgartens um die Heimateiche wurde vollständig munitionsberäumt. Die meisten übrigen Flächen des Bearbeitungsgebietes  wurden bis Ende 1995 visuell oberflächlich abgesucht, Teilflächen östlich des EU-SPA auch bis in 30 cm Tiefe (Herr Ey, Bundesanstalt für Immobilienaufgaben; Herr Bräse, Ordnungsamt Wittenberg; schriftl..; vgl. Abb. 2.4). Bis auf die Flächen, welche tiefenberäumt wurden, ist die Gesamtfläche des Untersuchungsgebietes weiterhin als kampfmittelbelastet einzustufen (Dr. Waldow, Technisches Polizeiamt des Landes Sachsen-Anhalt Magdeburg, schriftl.). Für große Teile der Fläche besteht daher nach der Gefahrenabwehrverordnung zur Verhütung von Schäden durch Kampfmittel (KampfM-GAVO vom 27. April 2005) ein Betretungsverbot und auch forstliche Maßnahmen sind, soweit sie mit Eingriffen in die Bodenschicht verbunden sind (z.B. Pflanzung), gleichfalls untersagt.

Infolge der natürlichen Sukzession werden zur Zeit große Teile der während der Zeit des Übungsbetriebes entstandenen Rohboden- und Offenlandbereiche heute von Pionierwäldern (Birke, Espe) eingenommen, welche im Unterwuchs jedoch vielfach Besenheide (Calluna vulgaris) aufweisen. Im Nordteil existieren daneben auch Kiefernforste jüngerer und mittlerer Altersstufen. Größere Offenflächen werden aber auch noch von Calluna-Reinbeständen eingenommen, seltener auch Besenginster (Sarothamnus scoparius), so am Nordrand und im südlichen Teil des EU-SPA. Offene Sandflächen, Silbergras- und Moosfluren werden zunehmend zurückgedrängt.  (Schulze, Endbericht aaO 13.; EU-SPA = European Special Protection Area; Europäisches Spezial-Schutzgebiet.).

 

Im Flur der ehemaligen Seydaer Stadtverwaltung ist eine – an den Rändern symbolisch rußgeschwärzte – Urkunde zu finden, mit folgendem Text:

„Symbolische Freiheitsurkunde

9.5.1991

 

Es grüne und blühe die Heide

für immer ungestört

zwischen Mügeln und Seyde!“

 

17. Der große Schatz

Die Heide hat ihr Gesicht über die Jahrhunderte sehr verändert!

Aus den Eichenwäldern wurden nach 1800 überwiegend Kiefernbestände, der Erlenbruch wurde zur Wiese - bis schließlich durch das Militär eine große Zerstörung einsetzte. Nun, nach fast zwei Jahrzehnten, zeigt sich die Kraft der Vegetation, wenn sie nur „in Ruhe“ gelassen wird: Sie ist wieder schön, unsere Heide!

Und durch ihre Fläche, aber gerade auch wegen der ehemaligen militärischen Nutzung haben sich in ihren Randstreifen, die deshalb für Menschen kaum zugänglich waren, manche Pflanzen- und Tierarten besonders entwickeln können.

 

Wer weiß schon, dass es in unserer Heide 25 verschiedene Heuschreckenarten gibt? Dass sich zur Zeit drei Seeadler hier aufhalten? Dass es wissenschaftliche Forschungen über die Ameisen in der Heide gibt? Dass bei uns die einzige Giftspinne Mitteleuropas zu Hause ist?

 

In den 90iger Jahren wurde darum gerungen, die Heide oder wenigstens einen Teil davon zum Naturschutzgebiet zu erklären. Dazu gab es verschiedene Untersuchungen. Heute ist ein zentraler Teil der Heide Naturschutzgebiet und besitzt den Status eines „FFH-Gebietes“, weil hier Arten und Lebensräume vorkommen, deren Erhaltung durch die europäische „Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie“ rechtlich verbindlich geworden ist. Damit besteht die Chance, das Wald und offene Heidelandschaft künftig das Bild unserer „Heide“ prägen werden.

Die Heide ist auch „EU-SPA“, European Special Protection Area, EU-Vogelschutzgebiet.

 

Am 12. September 2002 erfolgte die naturschutzrechtliche Sicherstellung der „Mittleren Glücksburger Heide“ in den Gemarkungen Mügeln, Leipa und Arnsdorf als Naturschutzgebiet. Dieses umfasst wesentliche Teile des EU-SPA und hat eine Flächengröße von 1247 ha. Die Schutzgebietsverordnung beinhaltet auch eine flächenhafte Pflege- und Nutzungszonierung des Gebietes...

Per Kabinettsbeschluss, den das Land Sachsen-Anhalt am 28./29.2.2000 und 9.9.2003 fasste, wurde zudem das aktuell 1803 ha große FFH-Gebiet und flächenidentische EU-Vogelschutzgebiet „Glücksburger Heide“ ausgewiesen. Dieses umfasst sämtliche Flächen des NSG, geht jedoch auch weit darüber hinaus und schließt bspw. auch die am Südwestrand gelegenen offenen und halboffenen Heideflächen ein. Im Zuge der Meldetranche vom September 2003 wurden kleinere Teilflächen am Südrand der Heide in das SCI integriert, welche u.a. Habitatflächen der an saure Kleingewässer gebundenen Großen Moosjungfer (Leucorrhinia pectoralis) beinhalten.“ (Schulze, Endbericht aaO 22.). 

„FFH“ ist die Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21.5.1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen, Abl. EG Nr. L 206 vom 22.7.1992, zuletzt geändert durch die Verordnung (EG) NR. 1882/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.9.2003 (Abl. EU Nr. L 284,  1). Vgl. Schulze, Endbericht aaO 7. Dort kann man auch lesen, dass unsere Heide die drittgrößte und von den fünf größten die einzige von militärischer Nutzung freie Heidefläche in Sachsen-Anhalt ist:

„Die Glücksburger Heide gehört zu den großen deutschen Heidegebieten. Das FFH-Gebiet ist mit 500 ha Zwergstrauchheide gemeldet. Mit dieser gegenüber dem derzeitigen Zustand deutlich geringeren LRT-Fläche steht es bundesweit an 16. und landesweit an 3. Stelle (vgl. Tab. 7.1 und 7.2). Unter Berücksichtigung von aktuell kartierten 870 ha LRT-Fläche würde die Glücksburger Heide sogar den 12. Platz bundesweit einnehmen.“ (Schulze, Endbericht aaO 126.).

„In der „Glücksburger Heide“ sind nach Ende des militärischen Übungsbetriebes ausgedehnte Zwergstrauchheiden aufgewachsen, die gegenwärtig ihre maximale Ausdehnung erreicht haben. Die Großflächigkeit der Heide und das Mosaik unterschiedlicher Entwicklungsstadien verleihen dem Gebiet eine herausragende naturschutzfachliche Bedeutung. Calluna vulgaris kommt neben den eigentlichen Heideflächen (870 ha) mit geringerer Deckung auch in Pionierwäldern und Grasfluren vor, so dass im FFH-Gebiet derzeit eine Gesamtfläche von 1046 ha mehr oder weniger stark von heidetypischer Vegetation geprägt ist (Deckung von Calluna ≥ 20 %). Herauszustreichen ist auch die enge Vernetzung der Zwergstrauchheide mit unterschiedlich dichten Pionierwäldern sowie mit trockenen Grasfluren und Sandmagerrasen, die in den reinen Flächenangaben nicht zum Ausdruck kommt.“ (Ebenda.).

 

Nach der Wende wurden in der Heide auch Probebohrungen für Wasser durchgeführt. In Jessen gibt es mehrere Mineralwasserbetriebe, die zeigen: Das lohnt sich!

Am Schallweg sollen drei Tiefbrunnen angelegt worden sein, um Wittenberg und Halle mit Trinkwasser zu versorgen, dazu wurden Rohre im Durchmesser von 35 cm verlegt.

Mit viel Mühe wurden Ruhehäuser und Informationstafeln, Wegweiser, Vogelhäuschen, ein Naturlehrpfad und vieles andere in die Heide gebracht; das meiste auf Initiative des Heimatvereins „Glücksburger Heide“, vieles mit Unterstützung der Öko-Tour-Sanierungsgesellschaft Seyda, fast alles mit Fördermitteln aus Bund, Land, Landkreis und Kommunen. Die Wege wurden nach der Entmunitionierung befestigt. Nicht alles hat Bestand gehabt.

 

Schon in DDR-Zeiten gab es große Bemühungen, den Naturreichtum der Heide – wenigstens in den Randbereichen – zu bewahren. So wurden die Teiche am Ortsrand von Seyda, der Kolonieteich und der Ententeich, in den sechziger Jahren in ihrer jetzigen Gestalt auf Initiative des Tierarztes und Naturfreundes Dr. Wojan angelegt.

 

1960 ist auf Initiative der Familie Elstermann aus Schweinitz der Grundstein für einen besonderen Naturpark am Rande der Heide gelegt worden: auf einer Fläche von 25.000 Quadratmetern entstand ein botanischer Garten mit  zahlreichen Gehölzen, Koniferen, Stauden, Farnen, Gräsern, Wasserpflanzen, die in ihrer Vielfalt wohl noch den Wörlitzer Park übertreffen.

 

Aus DDR-Zeiten wird auch berichtet, dass mancher, der Bauholz brauchte, es auch aus der Heide bekam; der Förster ließ ihn dafür ein paar Hektar Fichten setzen. So wurde auch damals auf vielerlei Weise versucht, die Heide zu erhalten.

 

Das Zentrum der petrolchemischen Industrie der DDR, vormals auch schon eines der bedeutendsten Industriezentren Mitteleuropas, befand sich südwestlich unserer Heide, und im nahen Wittenberg-Piesteritz das Stickstoffwerk, so dass sie wohl auch viele Abgase „schlucken“ musste, denn es ist oft Wind aus westlicher Richtung.

„Stickstoff ist ein notwendiger Nährstoff, doch wenn er permanent in zu großen Mengen vom Wald verkraftet werden muss, schädigt er diesen erheblich. Der jährliche Zuwachs steigt zum Preis erhöhter Frostanfälligkeit, der Boden vergrast, diese Grasdecken werden zur Falle für junge Bäumchen sowie zum ernsten Wasserkonkurrenten; Pilze sterben ab, wodurch die Symbiose mit den Bäumen ins Stocken kommt, das Bodenleben leidet.“ (Elstermann, Anmerkungen.).

Auch heute gibt es starke Umweltbelastungen, besonders durch den Straßenverkehr, die Entnahme des Grundwassers in großem Stil durch Betriebe, durch Luftverunreinigungen. Die Heide ist in Gefahr, und die schleichende Klimaveränderung hat – wie schon gezeigt – die Folge, dass Flora und Fauna sich auch verändern. Das Staunen und die Freude über die Natur kann eine starke Motivation sein, sich für ihren Erhalt einzusetzen.

 

Die herrliche Blütenpracht des Ginsters lädt im Frühling zu ersten Radtouren in die Heide ein. Doch in jeder Jahreszeit gibt es dort etwas zu entdecken!

Eine Freude für das Auge sind besonders im Spätsommer die weiten violetten Heidekrautflächen.

Sie werden nun auch wirtschaftlich genutzt, ein Mann erntet sie, sie werden beim Filteranlagenbau verwendet. Damit wird dafür gesorgt, dass die Heidelandschaft erhalten bleibt – und nicht allmählich zuwächst.

„Seit Mitte der 1990er Jahre werden Teilflächen der Heide mit hohem Deckungsgrad der Besenheide (8-12 Jahre alte Bestände sind besonders günstig) und geringer Verkusselung (ehem. Hubschrauberlandeplatz, Südostteil der Heide) gemäht. Diese Nutzung geschieht mit Genehmigung durch das Ordnungsamt Wittenberg sowie Haftverzichtserklärung gegenüber dem Bundesvermögensamt (jetzt BImA). Die Mahd bzw. die Flächeninanspruchnahme wird zudem mit dem Bundesforstamt sowie der Oberen Naturschutzbehörde abgesprochen.

Eine weitere Voraussetzung ist ein ebenes Gelände, um die Befahrbarkeit mit Mähgeräten zu gewährleisten. Die Nutzung erfolgt hier unter vorrangig wirtschaftlichen Gesichtspunkten zur Gewinnung von Material für die Herstellung von Biofiltern durch Herrn André Oehme (Vertrieb von Heilpflanzen und Naturprodukten) mit Genehmigung durch die Bundesforst Hauptstelle Roßlau.

Die Mäharbeiten erfolgen mittels Mähgerät auf mehr oder weniger ebenen Flächen und betreffen bislang hauptsächlich Flächen innerhalb der Zone „E“ des NSG „Mittlere Glücksburger Heide“...

Die Gesamtpflegefläche betrug bisher insgesamt 110 ha. Nach Angaben von Oehme wird für die Mahd einer Heidefläche von 1 ha in ebenem Gelände ca. 1 Tag benötigt, in unebenem Gelände ca. 2 Tage. Pro Saison können 60 bis 70 ha auf diese Weise gepflegt werden.“ (Schulze, Endbericht aaO 20f.).

 

Bis zu 80 Hirsche sind im letzten Jahr wieder in einer großen Gruppe gesehen worden; wie früher ist auch heute die Heide ein beliebtes Jagdgebiet. Vor dem Krieg kamen Jagdpächter beispielsweise aus Leipzig (für Lüttchenseyda), heute sind sie aus dem Münsterland und aus Dänemark. Jagdpächter aus Westdeutschland haben in den letzten Jahren das Gutshaus in Mark Friedersdorf, Gebäude und Flächen in Mark Zwuschen und auch Waldflächen erworben. In Mark Zwuschen ist wieder eine Fasanenzucht entstanden. Auch Unterkunftsmöglichkeiten gibt es in Mark Zwuschen, Morxdorf, Seyda, Gadegast, Mark Friedersdorf, Naundorf.

„Die Jagdausübung erfolgt zur Zeit überwiegend durch Gastjäger, lediglich im Nordteil wurden vor wenigen Jahren erstmals Begehungsscheine erteilt.“ (Schulze, Endbericht aaO 19.).

Die „Durchführung von Gesellschaftsjagden“ findet zur Zeit von Oktober bis Dezember statt. Die Jagdstatistik zeigt, dass im Jahr ca. 90 Rehe und 30 Hirsche geschossen werden. Dazu kommt das Schwarzwild, auch einmal Füchse (2002 19 Stück, 2003 15.). Die Jagd ist ein Wirtschaftsfaktor geworden!

Sie ist auch für die Erhaltung des Waldbestandes notwendig: „Nach 1990/91 vorgenommene Anpflanzungen ohne Zaunschutz hatten aufgrund des gestiegenen Wilddruckes keine Überlebenschance... Die Wildselektion der Baumarten führt langfristig zu einer noch stärkeren Förderung der Birke als konkurrenzstärkster Baumart. Der Wilddruck ist somit waldbaulich nicht tragbar.“ (Schulze, Endbericht aaO 18.).

Auf 200 wurde die Zahl der Hasen in der Heide 2003 geschätzt! Zählen kann man sie nicht so einfach! Man leuchtet in der Nacht mit Lampen und zählt die Augen!

In unserer Heide gibt es über 150 verschieden Schmetterlingsarten! So viele wurden im Jahr 2004 beobachtet. Es sind 127 von den „Großschmetterlingen“ zuzurechnenden Familien, und 25 Arten „Kleinschmetterlinge“. Außerdem gibt es 134 verschiedene Nachtfalterarten! (Schulze, Endbericht aaO 84.).

Die Dornfingerspinne (Cheiracanthium punctorium) gilt als die giftigste Spinne Mitteleuropas. Sie hat ein markantes Gespinst, einen rotbraunen Vorderrücken und ein grünlichgelben Hinterleib und ist 12 mm (die Männchen) bzw. 16 mm (die Weibchen) groß.

„Insbesondere auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz Glücksburger Heide und der einbezogenen „Markolinischen Wiesen“ nördlich von Jessen konnte die Dornfingerspinne in bemerkenswerter Anzahl festgestellt werden, während es sich im übrigen vorwiegend um Einzelfunde handelt... Der Lebensraum der Dornfingerspinne sind Trockenbiotope wie Trockenrasen und Calluna-Heiden oder Feuchtwiesen, in einem Fall Ufervegetation an einem Graben bei Linda; stets waren jedoch hohe, die übrige Vegetation überragende Stengelstrukturen, überwiegend Landreitgras, vorhanden, an denen die Gespinste befestigt waren. (Uwe Zuppke, Birgit Krummhaar: Beitrag zur Verbreitung der Dornfingerspinne in Sachsen-Anhalt. In: Entomologische Mitteilungen Sachsen-Anhalt 1997, Bd. 5, Heft 1, S. 17.).

 

Die Dornfingerspinne ist in der Lage, die menschliche Haut zu durchbohren, etwa wie bei einem Wespenstich! Man wird nicht daran sterben, aber drei Tage Schüttelfrost können es schon werden!

Doch keine Angst: die Tierchen sind nachtaktiv, und am Tage halten sie sich da auf, wo es baum- und strauchlos ist, meist in einer Höhe von einem halben Meter in einem Gespinst, taubeneigroß. Im Juli sind sie am aggressivsten, sonst weniger. Sie stehen auf der „Roten Liste“.

Die Einwanderung dieser Spinne in unser Gebiet ist eine Folge des Klimawandels. Eigentlich ist sie im Mittelmeerraum zu Hause, erst seit wenigen Jahrzehnten wird sie nördlich des Mains beobachtet.


25 Heuschreckenarten wurden zwischen 1992 und 1996 in der Heide  gezählt (8 Ensifera, 17 Caelifera). Das entspricht 44% der Heuschreckenarten Sachsen-Anhalts.

„Die Glücksburger Heide beherbergt zwei gesetzlich „besonders geschützte“, acht bundesweit und 14 in Sachsen-Anhalt in die Rote Liste eingestufte Heuschreckenarten.“

(Michael Wallaschek: Beitrag zur Heuschreckenfauna (Saltatoria) der Glücksburger Heide im Südlichen Fläminghügelland. In: Entomologische Mitteilungen Sachsen-Anhalt 1997, Bd. 5, Heft 2, 3.).

 

Auch über Schabfliegen gibt es eine spezielle Untersuchung für die Heide! Hier kommen sämtliche Arten vor, die in Sachsen-Anhalt überhaupt existieren: Waldschaben, Podas Waldschabe, Gemeine Waldschabe, Kleinschabe und Gefleckte Kleinschabe... Es sind immerhin 38% der in Deutschland freilebenden deutschen Schabenarten – weltweit allerdings gibt es 4000 Arten, dagegen ist es natürlich sehr wenig.

„In der Glücksburger Heide dürfte die durch die langjährige militärische Nutzung bedingte Vielfalt an Gehölzbiotypen, insbesondere solcher mit reicher vertikaler und horizontaler Strukturierung sowie guter Durchsonnung, für das Vorkommen, den hohen Verbreitungsgrad und die Häufigkeit von Phyllodromica maculata verantwortlich sein.“

(Wallaschek, Michael: Beitrag zur Schabenfauna (Blattoptera) der Glücksburger Heide im Südlichen Fläminghügelland. In: Entomologische Mitteilungen Sachsen-Anhalt, Band 5, Heft 2, 1997, hrsg. von der Entomologen-Vereinigung Sachsen-Anhalt e.V., Schönebeck 1997, 23f und 39.). Über Ameisen forschte der pensionierte Revierförster Herbert Grusa, Jüterbog, gestorben 2005.

 

Ein weites Feld ist die Vogelwelt der Heide. Da gibt es Wespenbussard und Rotmilan, Heidelerche und Brachpieper, Sperbergrasmücke und Ziegenmelker, Neuntöter und Schwarzspecht (das sind sonst besonders gefährdete Arten), dazu Sperber und Waldschnepfe,  Hohltaube, Wendehals und Grünspecht, Braunkehlchen und Schwarzkehlchen, Raubwürger, Grauammer... (Schulze, Endbericht aaO 43.).

Insgesamt sind es fast 60 Arten, die sicher in der Heide brüten.

„Vier Arten – Kornweihe (Circus cyaneus), Raufußbussard (Buteo lagopus), Rotdrossel (Turdus iliacus) und Erlenzeisig (Carduelis spinus) – sind reine Durchzügler bzw. Wintergäste. Für fünf auch als Brutvögel nachgewiesene Spezies – Brachpieper (Anthus campestris), Braunkehlchen (Saxicola rubetra), Singdrossel (Turdus philomelos), Eichelhäher (Garrulus glandarius) sowie Rohrammer (Emberiza schoeniclus) – konnte ebenfalls Durchzug belegt werden. Graureiher (Ardea cinerea) und Seeadler (Haliaeetus albicilla) wurden ausschließlich überfliegend nachgewiesen. Fünf weitere Spezies – Rohrweihe (Circus aeruginosus), Habicht (Accipiter gentilis), Turmfalke (Falco tinnunculus), Mauersegler (Apus apus) und Rauchschwalbe (Hirundo rustica) - treten ausschließlich als Nahrungsgäste auf. Brutzeitnachweise, bei denen jedoch eine Reproduktion in den Grenzen des PG ziemlich sicher auszuschließen ist, liegen von Baumfalke (Falco subbuteo) und Kranich (Grus grus) vor. Für zwei weitere, ebenfalls zur Brutzeit im PG beobachtete Arten – Wespenbussard (Pernis apivorus) und Grauammer (Miliaria calandra) - ist hingegen ein Brutvorkommen nicht auszuschließen. Brutverdacht bestand für Stockente (Anas platyrhynchos), Sperber (Accipiter nisus), Sommergoldhähnchen (Regulus ignicapillus), Kolkrabe (Corvus corax) und Fichtenkreuzschnabel (Loxia curvirostra).“ (Schulze, Endbericht aaO 45f.). „Unter Berücksichtigung des Gefährdungsgrades, der aktuellen Bestandsgrößen sowie der Verantwortung Deutschlands für den Erhalt von Vogelarten nach Anhang I der EU-VSRL kommt man zu dem Schluss, dass insbesondere der Ziegenmelker (Caprimulgus europaeus) zu den Vogelarten des EU-SPA zählt, auf die sich die aktuellen Schutzbemühungen konzentrieren sollten. Der Erhaltungszustand der Art wird momentan als günstig eingeschätzt, der Ziegenmelker weist aktuell ein Bestandsmaximum im Gebiet auf und repräsentiert mit mindestens 147 Paaren ca. 15 % des aktuellen Landesbestandes.  (Schulze, Endbericht aaO 131.). „Simon & Simon (1996) stellen in ihrem Gutachten die überregionale, landesweite Bedeutung der Glücksburger Heide für den Erhalt folgender Vogelarten fest:Neuntöter (Lanius collurio), Sperbergrasmücke (Sylvia nisoria), Brachpieper (Anthus campestris), Ziegenmelker (Caprimulgus europaeus).“ (Schulze, Endbericht aaO 120.).

Kreuzottern, Wiedehopf: die Zahl der Naturbeobachtungen ließe sich noch lange fortsetzen. Am besten: Sich selbst auf den Weg machen!

 

Vieles kann man heute über die Heide erfahren – auch in Bilddokumentationen, die Herr Berger, Heimatvereins-vorsitzender, selbst zusammengestellt hat, oder im Heidemuseum in Arnsdorf.

Heidefest, Radwandertag, Volkswandertag, Kremserfahrten – zahlreiche Ereignisse gibt es, in denen viele gemeinsam die Schönheit der Heide genießen.

Doch lädt sie auch immer wieder ein, sich allein oder in einer kleinen Gruppe aufzumachen und sich selbst darin als Teil der Schöpfung zu erleben.

 

 

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